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Artikel zum Laurentiusbrief Nr. 97 März 2006 der Ev. Kirchengemeinde Hemmingen
von Pfr. Gunther Seibold

Von Generation zu Generation

Vom Sonderstatus der Jugendarbeit

Kinder und Jugendliche verhalten sich unangepasster als andere Generationen. Sie nehmen sich häufig mehr heraus als die älteren Generationen. Kinder dürfen das. Da endet es meistens harmlos. Jugendliche dagegen ecken immer wieder an. Was ist das Besondere an der Jugendarbeit? Warum legen wir als Kirchengemeinde einen Schwerpunkt auf die Kinder- und Jugendarbeit? Es sind doch alle gleich!

Es sind eben doch nicht alle gleich, auch wenn jeder in Gottes Augen gleichen Wert hat. Aber die Menschen sind verschieden. Junge haben eine andere Lebenssituation als Ältere.

Im Folgenden will ich darstellen, was die Aufgabe einer Gemeinde für Kinder und Jugendliche als eine Besondere begründet. Auch für andere Generationen ist so eine Betrachtung möglich, aber für die Jugendarbeit hat sie besondere Bedeutung und auch besondere Tradition.

1. Im Blick auf die Zukunft der Kirche ist die nachwachsende Generation für die Weitergabe des Glaubens am wichtigsten. In 5. Mose 6 hat Mose dem Volk Israel in seiner Abschiedsrede die Zehn Gebote und das Glaubensbekenntnis noch einmal vorgelegt. Dann heißt es: „Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist“ (V.6-7). In Sachen Verkündigung und Lehre liegt ein Schwergewicht bei der jüngeren Generation, weil die ältere Generation das alles schon gehört hat. Bei der Vergewisserung und Tröstung dürfen für die älteren Generationen keine Abstriche gemacht werden. Da nimmt die Begleitung durch die Pfarrerinnen und Pfarrer eher zu. Auch die Einladung zum Glauben gilt allen Generationen gleich. Aber bei der Lehre und Grundlegung des Glaubens verdient die Jugend besondere Anstrengungen, weil sie die Kirche von morgen sein wird.
Daher gibt es Religionsunterricht und Konfirmandenunterricht. Daher gibt es für Kinder und Jugendliche Jugendwerke für die Lebensbegleitung im Glauben. Über die heilvolle Evangeliumsverkündigung an alle Einzelnen hinaus ist die Weitergabe des Glaubens an die nachwachsenden Generationen notwendige Voraussetzung dafür, dass das Reich Gottes weiter wächst auch in der Gestalt einer Kirchengemeinde.

2. Jugendliche bedürfen in der spezifischen Situation ihrer Entwicklung besonders orientierenden Sinnangeboten. Unsere Kirche bietet Menschen besondere Dienste an, die diese in ihrer Situation nötig haben: Lebensbegleitung bei der Heirat oder beim Tod eines Menschen beispielsweise. Auf die ganze Persönlichkeitsentwicklung bezogen bedürfen Kinder und Jugendliche in der Regel intensiverer Begleitung als Erwachsene, weil in diesen Jahren Weichen für ein ganzes Leben gestellt werden. Eine wesentliche Rolle spielen dabei Vorbilder und Freundschaften außerhalb des Elternhauses. Dieser Herausforderung stellt sich die Jugendarbeit, indem sie Gruppenangebote macht und Gruppenleiterinnen und -leiter zur Identifikation zur Verfügung stellt. Solche Vorbilder sind wertvoller als das, was Jugendlichen in den Medien begegnet. Einer Gemeinde und Elternschaft kann kaum besseres passieren, als dass sie ihre Kinder in den wertegebundenen Gruppen der evangelischen Jugendarbeit beheimatet weiß.

3. Die Jugendzeit bedarf der außerfamiliären Heimat. Jugendliche fallen immer wieder auf, weil sie sich stundenlang irgendwo herumtreiben, wenn die andern Generationen längst wieder zu Hause sind. Das ergibt sich aus der Herausforderung, in dieser Lebensphase vom Elternhaus unabhängig werden zu sollen und gleichzeitig dort zu wohnen. Auf der kleinen Bude in der Elternwohnung sind die Treffen nicht möglich, die die Jugendlichen brauchen. Jugendhäuser sind die Angebote der Kommunen für diese Herausforderung, kämpfen aber häufig mit einseitigen Besucherstrukturen. Für viele Jugendliche und auch eine Kirchengemeinde ist es in dieser Situation optimal, wenn die Jugendlichen das Gemeindehaus im Rahmen der christlichen Jugendarbeit als ihre außerfamiliäre Heimat nutzen. Dort sind sie gut aufgehoben und haben mit den Jugendräumen einen sichtbaren Ort innerhalb der großen Gemeinschaft. Auf der anderen Seite sorgt diese Situation für Zumutungen an die Gemeinde, weil Jugendliche mangels eigener Wohnzimmer anders mit den Räumen umgehen als Erwachsenenkreise. Jugendliche sind länger dort - manchmal am liebsten über Nacht -, und sie wollen mehr persönliche Spuren dort unterbringen.

4. Eigene Jugendgottesdienste als Weg in den Gemeindegottesdienst. So notwendig wie die pubertäre Auseinandersetzung mit der familiären Herkunft durch die Entdeckung alternativer und schließlich eigener Wege für junge Menschen ist, so notwendig scheint auch die Auseinandersetzung mit den gottesdienstlichen Formen durch die Entdeckung alternativer und eigener Gottesdienste zu sein. Wenn Jugendliche dies in der eigenen Gemeinde tun können, suchen sie diese Auseinandersetzung weniger außerhalb und drohen weniger abzuwandern. Da die Entwicklung alternativer Gottesdienste noch sehr dynamisch ist, kann zurzeit niemand absehen, welche Formen den Gemeindegottesdienst der Zukunft bestimmen werden. Aber seit Jahrzehnten gibt es in der Jugendbewegung eigene Gottesdienste und die, die sie gestaltet haben, sind heute die Gestalter der Sonntagsgottesdienste. Auch die zukünftigen Sonntagsgottesdienste werden eher von solchen Menschen geprägt werden, die heute ganz alternative Dinge versuchen, als von denen, die gar keine Gottesdienste besuchen. Daher ist es wichtig, dass wir Jugendlichen ermöglichen, eigene Gottesdienste zu feiern. Wenn Jugendgottesdienste von der Gesamtgemeinde als Teil der Gottesdienstkultur in der Gemeinde verstanden werden, ergeben sich auch Verknüpfungen personeller, musikalischer und nicht zuletzt theologischer Art.

5. Jugendliche haben mehr Bedürfnis nach Selbstständigkeit. In unserer Landeskirche hat die Jugendarbeit auf Landesebene schon lange eine besondere Tradition: Das ejw (Evang. Jugendwerk in Württemberg) arbeitet nach seiner Satzung „selbstständig im Auftrag der Kirche“. Es besteht eine Bindung an die Gemeinschaft und den Glauben der Kirche, aber die Jugendarbeit beansprucht Selbstständigkeit als Selbstorganisation. Sie ist die Möglichkeit, Verantwortung einzuüben und daher auch eine Folge pädagogischer Einsichten. Jugendliche äußern auch ihrerseits mehr als alle andern Generationen das Bedürfnis dazu. Sie wollen etwas bewegen und dabei nicht auf Schritt und Tritt Genehmigungszuständigkeiten ausgesetzt sein. Für ein gelingendes Miteinander einer selbständigen Jugendarbeit empfiehlt sich, dass die Kirche der Jugend einen Auftrag gibt, selbstständig zu arbeiten. Dieser Auftrag ist dann Raum und Rahmen für eine freie Entfaltung der Jugendarbeit in der Kirche.

Dies und vielleicht noch manches mehr spricht dafür, der Jugendarbeit durchaus einen Sonderstatus zuzugestehen.

Selbstorganisation darf aber auch nicht zu Abkoppelung führen. Die Weitergabe des Glaubens erfolgt von Generation zu Generation und also nicht durch eine für sich isolierte Jugendarbeit. Daher sollen die älteren Generationen die Jugendlichen einerseits einladen zu sich und andererseits als Begleiter der Jugendarbeit zur Verfügung stehen. Für die Selbstorganisation der Jugendarbeit und die Lehre ist es wichtig, dass sich Ältere in den Dienst der Jugendarbeit stellen und in Leitungskreisen auch noch Verantwortung wahrnehmen, wenn sie selbst nicht mehr Jugendliche sind. Und auch die Allerältesten können die Jugendarbeit unterstützen, indem sie sich Jugendlichen gegenüber interessieren und sie im Gebet unterstützen.
Zum sächlichen Bereich gehört, dass Jugendliche im Finanztransfer zwischen den Generationen kaum Geber sein können, sondern der Unterstützung bedürfen. Vor allem brauchen Jugendliche solche Menschen jeden Alters, die bereit sind, von ihrem Glauben zu erzählen, damit das Reich Gottes weiterwächst von Generation zu Generation.

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