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Predigt am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres
Rö.8,18-23
Thema: Dimensionen der Hoffnung 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 14.11.2010 in Hemmingen

Liebe Gemeinde,
heute ist der vorletzte Sonntag im Kirchenjahr. Am nächsten Sonntag feiern wir den Toten- oder Ewigkeitssonntag, danach fängt mit dem 1. Advent das neue Kirchenjahr an.

Die Novemberwochen stehen unter den Kennzeichen des Ausgehens: Die Blätter sind gefallen, zum Leben gehören Sterblichkeit und Tod. Wenn wir das Leben in seiner Ganzheit wahrnehmen wollen, müssen wir diese Dimensionen annehmen und aushalten.

„Doch auf Hoffnung“, so fällt der Apostel Paulus sich immer selbst ins Wort, wenn ihm seine Gedanken zu trübe werden. Die Wirklichkeit mag eine Welt der Leiden sein, aber auf Hoffnung, mit einem positiven Ausgang, mit einer Zukunft, für die es sich lohnt zu leben und zu glauben.

Ich lese als Predigttext aus dem Römerbrief in Kapitel 8 die Verse 18-23, wo Paulus schreibt:

Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.

Liebe Gemeinde, wer von Ihnen und euch hat vorhin seinen Nachbarn oder seine Nachbarin ächzen und seufzen hören? Der eine hat es im Kreuz, die andere im Knie. Und wer körperliche Leiden nicht kennt, hat etwas anderes: Schüler/innen seufzen, klagen und jammern über Hausaufgaben, Angestellte müssen erst einmal tief durchatmen, wenn sie spät nach Hause kommen, Frauen und wohl auch Männern vergeht beim Blick in den Spiegel die Lust: „Wie sehe denn ich aus?“

Leiden, wo man hinschaut. Und da muss man noch nicht einmal in die Nachrichten schauen. Da muss man noch nicht einmal einen Tag erwischen, an dem die S-Bahn ausfällt. Da muss man noch nicht einmal einen Besuch auf der Intensivstation der Inneren Medizin im Krankenhaus machen. Das muss noch nicht einmal ein Tag sein, bei dem es Streit in der Beziehung gab.

Wenn wir uns umsehen, sehen wir Leiden. Vor allem geht es uns so, wenn wir selbst gerade zu Jammern haben. Wenn Tränen die Augen trüb machen, dann sieht man auch alles um sich herum in Schlieren.

An so trüben Tagen kann zum Jammer die Angst kommen: „Wo soll das alles eigentlich hinführen? Es wird doch nichts besser in der Welt! Immer mehr Schulden, immer mehr ohne Ausbildung, immer mehr Menschen ohne Perspektiven.“

Wenn wir in diesen Gedanken kreisen, sind wir in einem Zustand, wo der Apostel Paulus die Welt auch stehen sah, wenn er schreibt: Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.

Die ganze Schöpfung sieht Paulus da im Zeichen der Angst, dass alles vergeht. Tatsächlich ist es auch so, dass wir wissen: Wir sind sterblich, die anderen Menschen um uns herum sind sterblich, auch Tiere und Pflanzen – alle blühen auf und verwelken dann. Vergänglichkeit ist ein Merkmal von allem Irdischen.

Müssen wir, wenn wir uns das klar machen, depressiv werden? Ist die Vergänglichkeit auch Auswegslosigkeit? Ist die Vergänglichkeit alles? Geht der Weg der Welt stetig nach unten? Was sagt der Christ Paulus dazu?

Er empfindet zwar die Vergänglichkeit und die Angst der Welt, aber er hat im Glauben eine Hoffnung. Die Hoffnung des Glaubens erzählt die Weltgeschichte als Heilsgeschichte. Sie geht davon aus, dass Gottes Wille die Bewahrung der Schöpfung ist, die Rettung vom Tod. Die Heilsgeschichte zieht eine Linie der Hoffnung durch die Weltgeschichte, die sich mit der Abwärtsentwicklung überkreuzt.

Da ist nicht nur Abwärtsentwicklung, sondern ein Gott, der den Christus ankündigt und in Jesus Christus kommen lässt. Da ist ein Gott, der verheißen hat, dass dieser Christus wiederkommt und eines Tages die ganze Schöpfung vollenden wird. Paulus kennzeichnet diese Entwicklung, dieses Handeln Gottes mit den Begriffen Offenbarung, Erlösung, Freiheit und Herrlichkeit.

Ich möchte diese Geschichte gegen den Niedergang und gegen die Angst, diese Geschichte gegen den Tod. mit diesen 4 Begriffen beleuchten, die hier im Predigttext vorkommen: 1. Offenbarung, 2. Erlösung, 3. Freiheit und 4. Herrlichkeit.

1. Offenbarung

Was ist Offenbarung? Oder was heißt, dass etwas offenbar werden soll?

In diesem Wort steckt drin, dass etwas erkennbar wird, was eigentlich schon längst da ist. Ein bisschen ist das wie „aufdecken“ oder „auspacken“.

Wir benutzen das Wort Offenbarung selten. Es gehört ein bisschen zu Gott. Für ihn passt es am meisten, denn er ist nicht nur „eigentlich schon längst da“, sondern schon immer da. Nur erkennen wir ihn nicht so leicht. Seine Geschichte mit der Welt ist eine verborgene, eine nicht so offensichtliche Geschichte mit uns, weil Gott eben nicht greifbar ist und nicht mit unseren beiden organischen Augen sichtbar ist. Gottes Handeln ist nicht von allein sichtbar, es muss offenbar werden.

Einige Momente in der Geschichte erzählen wir uns als Christen immer wieder, in denen diese Offenbarung ganz besonders stattgefunden hat: Zum Beispiel da, als Gott Mensch wurde und Jesus geboren wurde. Weihnachten kommt ja jetzt bald. In Jesus zeigte sich Gott, machte er sich offenbar als Liebe.

Und dann offenbarte sich Gott an Karfreitag und Ostern als der, der den Tod annimmt, aber überwindet. Hier im Kreuz ist sozusagen der Kreuzungspunkt zwischen der Linie der Vergänglichkeit und der Linie der Hoffnung in der Weltgeschichte.

Seit Ostern ist offenbart, dass der Tod nicht siegt, sondern das Leben. Genau das gehört zur Taufe, wie wir sie heute gefeiert haben und immer wieder feiern. Wer getauft ist, nimmt Teil an der österlichen Hoffnung, am Leben des Auferstandenen: Lisa, Lara und Julian und alle Getauften stehen im Zeichen des Lebens. Die Taufkerzen zünden wir an der Osterkerze an. Die Getauften tragen den Namen Gottes, sie sind Hoffnungszeichen in der Welt.

In unserem Abschnitt schreibt Paulus: „Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden“. Soll heißen: Wir sollen als Getaufte die Liebe Gottes leben und damit dazu beitragen, dass die Hoffnung, die Gott gibt, offenbar wird in der Welt.

2. Erlösung

Zweites Stichwort für die Perspektive der Hoffnung ist die Erlösung. Dazu sagt Paulus: „Nicht nur die Schöpfung um uns herum seufzt und ächzt, auch wir selbst sehnen uns nach Erlösung.“ Paulus verbindet die Erlösung mit der Kindschaft. Für Gottes Kinder gibt es Erlösung. Als Menschenkinder ohne Glauben leben wir ganz im Zeichen der Vergänglichkeit. Als Gotteskinder dürfen wir im Zeichen der Erlösung leben.

Wie sollen wir uns das vorstellen? Dazu kann uns ein Wort im Predigttext eine Anregung geben - was in unserer Lutherübersetzung allerdings gar nicht so deutlich wird.

Dieses Wort steckt im vorletzten Vers, da, wo es heißt: „wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.“ Was Luther hier mit „sich ängsten“ übersetzt hat, heißt in der Grundbedeutung „mit in Geburtswehen liegen“, synodino – falls jemand Griechisch kann.

Was das heißt, in Geburtswehen zu liegen, das haben die jungen Mütter, die heute da sind, vielleicht noch in frischer Erinnerung. Und die jungen Väter vielleicht auch, für die hat es ja dann konkret geheißen „wir sind mit in Geburtswehen gelegen“.

Mit der Erlösung ist es vielleicht so wie mit einer Schwangerschaft. Ein Christ wird Kind Gottes, aber durch die Schwangerschaft und die Geburtsschmerzen muss er noch durch. Wenn ein Kind durch ist durch die Geburt, dann ist die Erlösung vollendet, dann wird aus Hoffnung Freude, dann wird aus Ächzen und Klage ein Reigen.

3. Freiheit

Drittes Stichwort: Freiheit. Diese Dimension der christlichen Hoffnung scheint mir von den 4 Stichworten die zu sein, die am meisten mit dem heutigen Volkstrauertag zu tun hat. Dass sich ein Volk erinnert an die Toten der Kriege, dient ja dem Zweck, dass wir alles tun um künftige Kriege auszuschließen und Frieden zu stiften und zu bewahren. Freiheit und Frieden gehören zusammen.

Es gibt einen Zusammenhang, den man so formulieren kann: Freiheit dient dem Frieden, Unterdrückung erzeugt Gewalt und ist ja auch in sich schon Gewalt. Wer für Frieden ist, muss für Freiheit eintreten. Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit, das sind alles Güter, die unserem Grundgesetz wichtig sind und die wir auch als Christen vertreten.

Größte Beispiele für Freiheit lebten in der Geschichte die, die für Frieden eintraten und pazifistisch handelten. Jesus ist da an erster Stelle zu nennen, aber auch Martin Luther King oder auch nichtchristliche Pazifisten wie Mahatma Ghandi. Sie machten sich nicht abhängig von den Mächten, auch nicht vom Tod.

Solche Freiheit, die auch bereit ist zu sterben, ist eine gelebte Hoffnung gegen die Vergänglichkeit. Dastehen können und sagen: „Die Vergänglichkeit, der Tod, wird nicht das letzte Wort haben.“ Das zeigt etwas von der Freiheit, die die Kinder Gottes haben, die niemand aus der Hand des himmlischen Vaters reißen kann.

4. Herrlichkeit

Nun noch zum 4. Stichwort „Herrlichkeit“. Im Predigttext verbindet sie sich mit der Freiheit in dem Satz in der Mitte: Paulus schreibt: „Die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.“

Noch strahlender von der Herrlichkeit spricht der erste Satz: „Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“

Da hat die Herrlichkeit, die Paulus verkündigt, ein enormes Gewicht. Vielleicht können wir das noch einmal ein bisschen vergleichen mit einer Geburt: Die Leiden von Wehen oder Kaiserschnitt fallen am Ende eben nicht ins Gewicht gegenüber der Freude über das neue Leben, wenn es da ist.

So dürfen wir es mit der Erlösung und Befreiung durch Gott auch verstehen, wenn unser Leben und Leiden in der Vergänglichkeit am Ziel ist: Dann wird eine Herrlichkeit sein in Gott, gegenüber der alles nicht mehr ins Gewicht fällt, was wir im Leben neben allen Freuden auch erleiden.

Fazit

Von 4 Begriffen der Hoffnung dürfen wir uns als Christen also leiten lassen, wenn uns die Vergänglichkeit unserer Welt und so manches in ihr frustet und zum Seufzen bringt: Offenbarung, Erlösung, Freiheit und Herrlichkeit.

Anfangs habe ich gefragt, ob Sie Ihre Nachbarin oder Ihren Nachbarn schon haben ächzen und seufzen hören. Jetzt will ich fragen: Haben Sie sie oder ihn vielleicht auch singen hören? Ja, und wenn nicht den direkten Nachbarn, dann die Gemeinde heute morgen, die um uns herum ist! Es ist schön, wenn wir miteinander Lieder singen!

Mir ist wichtig, dass wir uns klar machen, dass wir zwar in einer Welt leben, die unter der Vergänglichkeit leidet, aber dass Christinnen und Christen deshalb nicht die Welt schlecht finden müssen, sondern fröhlich Zeichen der Hoffnung leben können.

Trotz ihrer Vergänglichkeit leben wir in einem Ja zur Welt. Wir leben die Hoffnung, wenn wir sie zeigen in dem, was in der Welt schön ist und was wir genießen können. Ich wünsche Ihnen in den Tauffamilien, dass Sie heute diesen Tag auch noch mit einem schönen Fest feiern. Gutes Essen ist ja etwas vom Vergänglichsten, aber da sollen wir nicht Trübsal blasen, sondern zugreifen und uns freuen und so die Hoffnung leben, die wir haben.

Lassen Sie sich von Gottes Geist beschenken, dass Sie als seine Kinder mit dieser herrlichen Freiheit leben können, die sagen kann: Gegenüber der Herrlichkeit Gottes fallen die Leiden nicht ins Gewicht – nicht letztendlich und wo immer möglich schon jetzt nicht. Amen.


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