« Startseite Theologie

Predigt zum Frische-Brise-Gottesdienst
Jahreslosung 2004
Markus 13,31
Thema:  Bleibt was? Jesu Worte?

Predigt von Pfarrer z.A. Gunther Seibold, Urbach
gehalten am 11.01.2004 in Urbach, Friedenskirche

Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.

Im Anspiel:
Zwei unterhalten sich im Zugabteil, J packt sein Frühstück aus, U liest ein Philosophie-Buch: Sie will sich mit Worten für die Ewigkeit beschäftigen. J hält das Philosophengerede nicht für ewig, sondern für trivial.
Zum Schluss sieht J die Haltbarkeitsdaten seiner Bechernahrung: Joghurt und Pudding sind abgelaufen. Obwohl der Pudding schon ein halbes Jahr über die Zeit ist, nimmt J diesen: "Joghurt verschimmelt, wenn er abgelaufen ist, aber Pudding hält ewig."


"Joghurt vergeht, aber Pudding besteht!"
so ähnlich haben wir das vorhin gehört,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Gemeinde im Gottesdienst!

Solche Sprichworte gibt es ja noch mehr:
"Schönheit vergeht, Hektar besteht!", sagt der ländliche Bräutigam.
"Aktie vergeht, Gold besteht!", sagt der Anlageberater.
"Arbeitsplatz vergeht, Ausbildung besteht!", sagt der Meister im Beruf.
"Kniescheibe vergeht, Trainerschein besteht!", sagt der Fußballprofi.
Und der Werbeprofi empfiehlt für
Eisen-Vetter-Werbung:
"Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht,
das tut unser Stahlkrug aber nicht",

Ja, so oft sind wir in unserem Alltag
mit der Vergänglichkeit beschäftigt
oder mit dem Versuch, sie auszuhebeln.
Was bitte ist das Mindesthaltbarkeitsdatum?
Wie lange geht die Garantie?
Und im Allgemeinen bewerten wir die Dinge nach der Haltbarkeit:
Was vergeht ist schlecht,
was lange hält ist wertvoll.

Dabei kann einer nun allerdings ganz schön ins Grübeln kommen:
Wie schnell doch alles vergeht!
Die Milch läuft übermorgen schon ab,
und wenn Sie hocherhitzt ist, trotzdem in 12 Wochen.
Weihnachten, lange geplant,
ist vorbei,
die Termine und Vorhaben für das neue Jahr,
o jeh, das wird wieder schneller vorbei sein,
als es vielen von uns lieb ist.

"Der Mensch ist in seinem Leben wie Gras,
das am Morgen noch blüht,
und abends ist es verdorrt," sagt ernüchtert Psalm 90.
Und so ist es auch:
Da sprechen viele vom Anti-Aging -
aber sterben doch alle.
Auch so stabile Dinge wie Grundbesitz ändern sich,
Burgen und Schlösser sind zerfallen,
Reiche, Weltreiche, die 1000 Jahre halten sollten, sind untergegangen.

Wir haben Dinge, die lange halten,
aber nichts, was ewig hält,
und schon gar nichts, wo wir selbst dafür sorgen können,
dass es unvergänglich ist.

Vielleicht ist das also gar nicht so negativ,
dass Dinge vergehen,
sondern einfach normal.
Es gehört zur Zeit, dass sie vergeht,
und dass alles, was in der Zeit entsteht und sich bewegt
Vergangenheit wird.
Sonst wäre keine Zeit, wenn nichts Vergangenheit würde.

Vergangenheit ist vielleicht ein neutraleres Wort
als Vergänglichkeit:
Die Frische der Milch wird Vergangenheit,
sie wird zwar sauer und dann böbbelig oder gar schimmelig,
aber sie war einmal in ihrer Vergangenheit
frisch, weiß und glatt.
Das gehört zur Welt und auch zu uns Menschen,
dass wir in der Zeit sind.
Alles, was wir um uns herum haben und erleben,
ist in der Zeit und dem Vergehen unterworfen,
wird Vergangenheit.

In diese Vergänglichkeits-Erfahrung kommt nun Jesus hinein
und sein Satz,
der als Jahreslosung für 2004
aus dem Markusevangelium ausgewählt worden ist.

Ich habe diese Jahreslosung etwas illustriert:

Himmel und Erde umreißen unseren Lebensrahmen.
Zwischen Himmel und Erde spielt sich unser Leben ab.
Diesen Raum hat uns Gott als Lebensraum gegeben
und ihn uns erhalten bis heute.
Vielleicht erinnern sich manche an die Predigt von Siegfried Zimmer
an dieser Stelle,
als er von Gottes Garten sprach,
den Gott als Lebensraum den Menschen großzügig gibt.

Aber irgendwann werden Himmel und Erde
wie sie geschaffen sind auch wieder vergehen.

Jesus stellt das fest und sagt (Mk.13,31):

"Himmel und Erde werden vergehen".

Sie werden Vergangenheit,
weil sie in der Zeit sind.
Das sieht die moderne Physik ja genauso wie Jesus:
Nach der klassischen Urknalltheorie hat
das Weltall einen Anfang,
dehnt sich aus und soll in der Umkehrung wieder in sich zusammenfallen.

Nun hat der Mensch aber doch in sich eine Sehnsucht
nach dem Unvergänglichen.
Er sucht die lange Haltbarkeit und ein langes Leben.

Letzte Woche wurde bei uns in Urbach die Frau Weidler 99
bei guter Verfassung.
Das wünschen wir uns doch!
Und der Mensch wünscht sich ein bleibendes Lebenswerk.
Er schätzt die uralten, die ursprünglichen Werte,
weil die für Dauerhaftigkeit stehen und Halt geben.
Der Mensch hat Hochachtung vor dem,
was den Hauch von Ewigkeit trägt.

Ein Mensch ohne einen Glauben an Gott
kann sich dem aber nicht weiter nähern.
Er bleibt an das Ermessbare in Raum und Zeit
und damit an das Vergehen gebunden.

Jesus aber führt weiter,
indem er mit seinen Worten über Himmel und Erde hinausgeht.

Er setzt dem Vergehen von Himmel und Erde
ein göttliches "aber" entgegen:
 
"Himmel und Erde werden vergehen,
aber"

meine Worte werden nicht vergehen.
Jesu Worte liegen quer zu Raum und Zeit.

Vielleicht merken wir,
wie steil das ist, was Jesus sagt,
was für ein hoher Anspruch hier drin steckt!
Von Unvergänglichkeit kann nur reden,
wer über Raum und Zeit hinauskommt.

Ein Mensch kann das nicht.
Entweder ist Jesus ein Mensch gewesen,
der übertrieben hat,
der Luftschlösser baut -
oder er ist tatsächlich das, was die Bibel sagt:
Der Sohn Gottes,
der Mensch ist wie wir
und in dem doch zugleich Gott auf Erden ist.

Denn theoretisch ist das klar:
Wenn Jesu Worte das Wort Gottes sind,
des ewigen Gottes,
dann, und nur dann kann er behaupten,
dass seine Worte nicht vergehen werden.
Allein Gott ist vor der Zeit gewesen,
er hat die Welt und damit auch die Zeit geschaffen,
und er wird am Ende immer noch derselbe sein.
Gott steht außerhalb der Zeit und ist nicht dem Vergehen unterworfen.
Gott wird nicht Vergangenheit.

Wir können feststellen:
Wenn Jesu Worte Gottes Worte sind,
dann mag der Anspruch berechtigt sein,
mit dem er spricht.

Nun ist das Theorie,
oder sagen wir: Theologie.

Interessant wird es
wenn wir uns überlegen,
wie das uns betrifft.
Wie uns das vielleicht sogar richtiggehend trifft.
Was ist das Besondere,
wenn wir Jesu Worte hören?
Was kann ich heute erleben,
wenn ich Jesu Worten glaube?

Dazu will ich noch einmal neu ansetzen.

Eingangs habe ich schon erwähnt,
dass wir aus der Haltbarkeit den Wert einer Sache ableiten.
Genauso meinen wir auf den ersten Blick,
der Wert von Worten hänge von ihrem Alter ab.
Die Dame im Anspiel hat nach den
altbekannten Stars der Philosophiegeschichte gesucht.
Was Sokrates oder Seneca gesagt haben,
gilt mehr als das, was gestern in der Zeitung stand,
oder mehr als die Fülle der EMails,
Fernsehmoderatorengeschwätz und so weiter,
was da alles auf uns einströmt.

Ich will nun aber behaupten,
dass der Wert von Worten nicht von ihrem Alter
und ihrer Haltbarkeit abhängt,
sondern davon,
wie bedeutend sie für uns sind.
Und bedeutend ist eben nicht das Alter,
sondern der Inhalt,
das,
was Worte mir zusprechen und in mich hineinlegen.
Ein theoretischer Satz über die Liebe ist nichts wert gegenüber dem,
wenn meine Frau mir sagt:
"Ich mag dich!"
Oder noch direkter:
"Du bist mein Schatz!"

Solche Worte,
"Du bist mein Schatz!" oder "Du bist mein Freund!"
die machen etwas mit mir.
Die gehen mich unmittelbar an.
Die machen mich von einem x-beliebigen Mann
zu einem besonderen, zu einem Freund.
Präzise gesagt:
Solche Worte sind Worte,
die mir eine bestimmte Existenz zusprechen.

Ähnliches passiert,
wenn ein Richter dem langjährigen Häftling,
der da mit hängenden Schultern vor ihm steht,
mit leeren Augen, die nichts mehr erwarten.
Wenn der Richter diesem Mann sagt:
"Du hast genug gesessen, du bist frei!"
Dann spricht der dem Mann eine neue Existenz zu.
Er wird ein anderer, seine Augen leuchten erst ungläubig,
dann heller, sein Blick geht nach oben,
er richtet sich auf.

[Oder wenn der Firmenchef nach dem Vorstellungsgespräch sagt:
"Sie sind eingestellt!"]

Zu den existenzbegründenden Worten gehören auch
die Dokumente, die ich in der Tasche oder auf dem Rathaus habe:
z.B. mein Personalausweis.
Er weist mich als deutschen Staatsbürger aus.
Oder die Geburtsurkunde weist mich als Sohn meiner Eltern aus.
Diese Worte begründen meine Existenz.
Solche Worte haben unmittelbare Bedeutung für mich -
egal, in welchem Jahr sie ausgestellt wurden.

Diese Worte in meinen Beispielen von gerade eben
begründen freilich eine Existenz in der Zeit,
die wieder Vergangenheit wird.
Darüber nun geht Jesus in einmaliger Weise hinaus.
Er hat Existenzworte, die unseren vergänglichen Rahmen sprengen:
Er sagt uns:
"Ihr seid Kinder Gottes!",
nicht nur Schüler für 2 Jahre und dann mit 1 Jahr Verlängerung,
sondern Kinder des ewigen Gottes.
Ihr seid Kinder in der Vaterschaft
des ewigen und gütigen Vaters im Himmel.
(vgl. Anrede mit "Vater" Mt.6,8-9; Lk.20,36; Mt. 5,45par; Rö.8,14-17 u.ö.)
"Ihr seid geliebt von Gott!" (Joh.3,16; Joh.17,23)
"Ihr seid das Licht der Welt" (Joh.8,12)
und wenn ihr an mich glaubt
"habt ihr das ewige Leben" (Joh.3,15, vgl. Joh.11,25f).

In den Geschichten von Jesus geht das so,
dass Menschen krank und gebeugt kommen.
Zum Beispiel der Gelähmte, den seine Freunde
durchs Dach zu Jesus hinunterlassen.
Jesus blickt sie an, spricht mit dem Kranken und sagt:
"deine Sünden sind dir vergeben!" (nach Mk 2; 12,5.9)
Das heißt doch:
"Geh hin (in eine neue Existenz), deine Sünden sind dir vergeben!"

Jesu Worte sprechen uns eine Existenz zu,
die nicht begrenzt ist von Raum und Zeit,
sondern bei dem ewigen Gott ist.

Weil Jesus auferstanden ist
und damit über Zeit und Raum hinausgekommen ist,
darum sehen Menschen, die an Jesus glauben,
dass sich seine Worte bestätigt haben.

Als der Sohn Gottes sagt Jesus Worte,
die kein Mensch so sagen kann.
Der Unterschied zu den Philosophen ist,
dass sie in der Zeit geblieben sind.
Jesu Leben hat sich auch in der Zeit abgespielt
und hat nach seinem Tod doch die Grenzen von Raum und Zeit gesprengt.
Im Glauben kann ich sagen:
Sokrates ist tot.
Jesus lebt.
Sokrates war bedeutend.
Jesus ist bedeutend.
An Sokrates erinnere ich mich (bzw. an das, was sich die Menschheit erinnert),
Jesus vertraue ich.
Sokrates ist die Vergangenheit seiner Worte,
Jesus ist die Zukunft seiner Worte
und auch meine Zukunft.

Bleibt was?

Ich möchte zusammenfassen:
Wer dieser Jahreslosung Glauben schenkt,
kann einen zweifachen Gewinn erleben:

Zum Einen kann er gelassener der Feststellung gegenüber treten,
dass zwischen (und einschließlich) Himmel und Erde
alles Vergangenheit wird,
weil das der Natur der Sache entspricht.
Wir brauchen die Dinge nicht krampfhaft festzuhalten,
weil wir auch das Andere kennen:

Wer dieser Jahreslosung Glauben schenkt,
kann zum andern und vor allem eben
sich über alle die Worte freuen,
die Jesus sagt,
mit denen Jesus ihm eine neue Existenz als Kind Gottes zusagt.

Er kann sagen:
Da habe ich eine Existenz, die mir keiner nehmen kann.
"Freuet euch, dass eure Namen in dem Himmel bei Gott geschrieben sind",
sagt Jesus.

Als Menschen,
die Gott vertrauen,
die heute gemeinsam singen und beten
und seine Worte hören
können wir mit Zuversicht das neue Jahr 2004 beginnen.
Amen.

Zum Seitenanfang