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Predigt zur Sommerpredigtreihe "Säen - Wachsen - Reifen - Ernten"
Thema 3: Reifen 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 04.07.2004 zum Kirchturmfest in Hemmingen

Schriftlesung: Phil.3,12-16 

Liebe Gemeinde,

hier habe ich eine Frucht mitgebracht. Man könnte sagen: - eine rote - eine runde - eine Nektarine und – was mir für heute das Wichtigste ist – eine reife!

Säen, wachsen, reifen, ernten, diese 4 Worte geben die Themen unserer Sommer-Gottesdienstreihe vor und heute sind wir also beim Reifen angelangt.

Ich habe es etwas bedauert, dass wir zu diesem Thema jetzt Kirchturmfest haben mit dem ganzen Trubel rundherum und der heißen/windigen/etc. Natur, die uns ablenken kann.

Denn an der ganzen Reihe finde ich das Kapitel vom Reifen so ziemlich das Interessanteste. Es ist nach den Themen säen und wachsen gewissermaßen ein „erwachsenes“ Thema. Es ist anspruchsvoll, über das Reifen nachzudenken.

Für die Bibel ist es mit dem Glauben auch so, dass er reifen kann und soll. Der erfahrene Glaube verträgt auch die schwierigeren Fragen und die höheren Anforderungen. Die Bibel spricht dabei von der „festen Speise“ im Vergleich zur leicht bekömmlichen Milch, wie man sie Kindern und Unerfahrenen gibt.

In Hebräer 5 heißt es 14 Feste Speise ... ist für die Vollkommenen, die durch den Gebrauch geübte Sinne haben und Gutes und Böses unterscheiden können. (vgl. Heb.5,12-14)   Obwohl wir also heute unter freiem Himmel sind und Festatmosphäre haben, möchte ich Ihnen so feste Speise zumuten. Nichts einfaches, nichts billiges, kein plakativer Soft-Toast, sondern sozusagen christliches Schwarzbrot.

Ich tue das mit ein paar Punkten zu der Frage, was einen reifen Glauben auszeichnet:

1. Ein reifer Glaube sieht das Ganze

Sie wissen es vielleicht aus eigener Erfahrung: Kinder glauben an Kurzschlüsse bei Gott: Habe ich das oder das verbockt, dann folgt die Strafe von Gott auf dem Fuß. Oder umgekehrt: Ich helfe heute meiner Mama beim Getränke holen, dann hat mich Gott lieb.

Vielleicht kennen Sie solche Sätze auch nicht nur von Kindern, vielleicht auch von sich selbst. Schließlich bleiben wir alle auch Kinder und irgendwie ist es ja auch gut so.

Aber wenn wir so alles auf Gott übertragen, was wir in unserem kleinen Leben erleben, dann werden wir Gott nicht gerecht. Gott sieht das Ganze und ein reifer Glaube lernt, auch über das Einzelne hinaus Gott im Ganzen zu vertrauen.

Ich hätte an dieser Stelle gerne Psalm 73 mit Ihnen betrachtet. Leider führt das zu weit. Aber schauen Sie sich den Psalm zuhause einmal an. Zuerst argumentiert der Beter dort in dieser kleinen Logik von gut und böse, die uns von Kindertagen an vertraut ist.

Aber dann bekommt er das Leben von seinem Ende her in den Blick. Er sieht das Ganze. Daraufhin kommt er zu den bekannten Versen die wir vorhin als Psalmgebet gesprochen haben:

Psalm 73 bietet ein typisches Beispiel für einen Glauben der reift. Am Anfang des Psalms, das ist im Gesangbuch nicht abgedruckt und auch nicht auf unsererm Liedblatt da beklagt sich der Beter verselang bei Gott darüber, dass es einem bösen Menschen in seinem Umfeld gut geht, obwohl er so ein liederliches Leben führt. Und er strengt sich an, beachtet Gottes Gebote, und trotzdem ist er arm und krank.

Während er sich so beklagt, kommt der Beter dann aber auf den Gedanken, einmal vom Ende her zu denken: Was hat der Reiche eigentlich letzten Endes von seinem Geld? Das letzte Hemd hat keine Taschen, sagt man ja. Und der Beter entdeckt: Wenn ich mich im Glauben Gott anvertraue, dann habe ich heute schon eine Zuversicht, die auch dann trägt, wenn das Ende da ist. Und in dieser Zuversicht kommt der Psalm dann zu den Versen, die wir schon gesprochen haben:
Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei deiner Rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde.

Eine reife Frucht wie diese Nektarine ist am Ende auch ein Bild für das Ganze eines Lebens. Die reife Frucht trägt die Spuren ihres Lebens an sich, die Befruchtung, die Wetterverhältnisse während des Wachstums, den Schorf von einer Infektion vielleicht oder die Wunde durch ein Tier. In alledem ist sie dennoch Frucht. Die Kleinlichkeit des modernen Verbrauchers, der einen Apfel nicht kauft, wenn er solche Spuren des Ganzen hat, ist jedenfalls eher kein Zeichen von Reife.

Im Glauben kann der Mensch lernen, über sich hinaus zu blicken und auf das Ganze zu sehen. Der Glaube gelangt durch den Bezug auf Gott, der alles in seiner Hand hat, zum Ganzen. Dieser Reifungsschritt im Glauben führt zu einem Zweiten, was vom reifen Glauben gesagt werden kann: Er kann

2. Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden

Ich nehme noch einmal diese Nektarine in die Hand. Wenn ich sie kaufe, dann denke ich an ihr Fruchtfleisch und wie süß sie ist. Der Pflanze selbst ist aber an der Frucht etwas ganz anderes viel wichtiger: Der Kern innen drin. Das Fruchtfleisch und die schöne Schale sind Zutat. Das Entscheidende ist der Same innen im Kern, aus dem ein ganz neuer Baum entstehen kann.

Es gehört zur Reife, im Leben nicht nur die Schale, sondern den Kern zu sehen.

Das gilt für die Werbung, wo es sein kann, dass man ohne Reife auf irreführende Werbung hereinfällt. Das gilt genauso in Punkto Menschenkenntnis, wo zunehmende Lebenserfahrung uns immer mehr Reife gibt, nicht nur nach dem äußeren Anschein zu urteilen.

Nicht zuletzt gilt das auch für den Glauben, dass die Reife bewirkt, zwischen Schale und Kern unterscheiden zu können.

Ich möchte als konkretes Beispiel den Umgang mit der Bibel nehmen. Viele nehmen sie nach ihrem äußeren Gehalt, ihrer Schale. Wer die Bibel daran aufhängt, für den kann es dazu führen, dass er anfängt zu lesen und dann über einen Satz stolpert, der ihm nicht behagt, und darüber legen er dann das ganze Buch weg, weil er den tieferen Sinn des Ganzen nicht kennt.

Ein äußerliches Bibelverständnis mit umgekehrtem Effekt gibt es dort, wo einer den Kern der Sache durchaus kennt, sich dann aber an einer Außerlichkeit festbeißt und ein konkretes Detail zum Grundsätzlichen steigert.

Martin Luther hat seinen Gegnern gegenüber Wert darauf gelegt, dass das nicht geht. Man kann nicht auf bestimmten Sätzen ein System aufbauen, dass der inhaltlichen Mitte der Bibel widerspricht. Diese inhaltliche Mitte hat er in Jesus Christus erkannt, der für die Menschen durch Gottes Liebe gestorben und auferstanden ist. Jesus hat alle Menschen unabhängig von Geschlecht und Rasse gleich behandelt. Diesen Kern der Bibel nannte Martin Luther das, „was Christum treibet“. Es gibt Stellen in der Bibel, die klar herausstellen, wer Jesus ist und wie Gott die Menschen liebt. Und es gibt andere Stellen, die da nicht so klar sind und daher als nicht so bedeutend beurteilt werden müssen.

Ich denke, dass es ein Ergebnis reifen Glaubens ist, so unterscheiden zu können. Ein reifer Glaube kann unterscheiden zwischen den Kernsätzen und den Schalensätzen der Bibel. Schalensätze betreffen die konkreten äußeren Verhältnisse und kommen zum Beispiel vor, wo die viel diskutierten biblischen Sätze vom Verhältnis der Frauen und Männer zueinander und in der Gemeinde fallen. Oder es sind die Sätze, wo Kriege im Namen Gottes geführt werden. Aus konkretem Anlass heraus waren sie wahrscheinlich sinnvoll und nützlich, um damals Ordnung herzustellen.

So war Jesus aber nicht. Er predigte keine Gewalt und er behandelte alle Menschen als vor Gott gleich. Paulus schrieb: Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, seid christlich, da ist nicht die Frage, ob Mann oder Frau, sondern ihr seid allesamt eins in Christus. Das ist bis heute ein reifer Satz des Glaubens. Der reife Glaube wird die konkreten Verhältnisse heute auf der Basis des Christuszeugnisses selbst beurteilen. Der reife Glaube predigt nicht den Buchstaben, sondern den Geist des Wortes Gottes.

3. Bereit loszulassen

Einen weiteren Ausdruck von Reife lerne ich von der reifen Frucht in der Beziehung, dass sie bereit ist, loszulassen. Wenn die Frucht reif wird, dann kann sie leicht vom Baum genommen werden. Das war meine Erfahrung bei den Obstbäumen zuhause. Die grünen Äpfel, denen man die Reife nicht so ansah, konnte man daran auf Reife prüfen, ob sie sich leicht vom Baum lösen ließen. Die reife Frucht lässt los um ihrer Bestimmung gerecht zu werden. Sie muss sich nicht krampfhaft festhalten, sondern sie hat Freiheit. Sie kann sich dem hingeben, was mit ihr geschieht.

Solche Reife entdecke ich bei Hiob. Dieses Buch der Bibel ist eine Schule des Loslassens. Hiob wird zugemutet, alles herzugeben, was ihm wichtig war. Aber er hängt lang zu sehr daran. Er rechtet mit Gott und seine Freunde rechnen auch auf, wenn auch anders herum, indem sie ihn beschuldigen.

Am Ende hilft alles nichts: So klug sie auch reden, sie haben das Schicksal nicht im Griff. Die Reife, zu der Hiob gelangt, ist letzten Endes, dass er loslassen kann und letztendlich auch sich selbst loslassen kann. Er erfährt, dass er sich Gott anvertrauen muss, aber Gott auch anvertrauen kann. Ganz.

Die Frucht, die loslässt, lässt auch nicht nur den Baum los, sondern sich selbst. Sie gibt sich hin für ihre Bestimmung, zum Samen für einen neuen Baum zu werden. Einen Spruch solcher Reife haben wir auch von Jesus: Wenn das Korn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bringt es keine Frucht. Positiv gesagt: Eine reife Frucht muss sich loslassen, um wirksam zu sein. Jesus selbst war das Vorbild dafür.

Reife im Glauben heißt, für alles bereit zu sein im Vertrauen auf Gott. Das ist herausfordernd. Das ist tatsächlich nicht Milch für die Kleinen, sondern die feste Speise, von der ich eingangs gesprochen habe.

Manchmal mag sie zu hart sein. Und trotzdem denke ich: Es lohnt sich, zu reifen im Leben.

Es lohnt sich nicht nur für einen selbst, sondern auch für die andern in einer Gemeinde, wenn es reife Menschen in ihr gibt. Das hängt zusammen mit einer weiteren Eigenschaft, die die reife Frucht bekommt:

4. Weich werden

Die Frucht wird weich.

So muss auch der reife Mensch nicht mehr hart sein.

Zur Jugend gehört, so weiß es auch die Entwicklungspsychologie, revolutionär zu sein, harte Maßstäbe auszuprobieren und sie auch von andern zu verlangen, und sei es eine harte Formulierung von Freiheit. Alten, gereiften Menschen, wird dagegen die Eigenschaft des Ausgleichs zugemessen. Wer das Ganze sieht, wer zwischen Außenseite und Kern unterscheiden kann, wer loslassen kann, der kann auch Kompromisse suchen, einmal nachgeben, zwischen verschiedenen Positionen vermitteln.

Schluss

Ich nehme noch einmal die Nektarine in die Hand: Ich will an ihr ablesen,

- dass Reife ein Symbol für das Ganze ist,

- dass Reife zwischen Fassade und Kern unterscheiden kann

- dass Reife loslassen-Können bedeutet und

- dass Reife weich ist und auf andere eingehen kann.

Sonst hat mein Glaube wenig mit einer Nektarine zu tun. Aber das mag er von ihr lernen. Amen.      

 

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