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Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis
Lk.15,1-8
Thema: Wo steckst du? 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 28.06.2009 in Hemmingen
(Gemeindefest)

Liebe Gemeinde,
als Predigttext hören wir heute auf eine ganz bekannte Geschichte.
Sie steht im Lukasevangelium in Kapitel 15, die Verse 1 bis 8:

Es nahten sich [Jesus] aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er "eins" von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet?
Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude.
Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.
Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über "einen" Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Liebe Gemeinde,
der Evangelist Lukas hat in diesem Kapitel eine ganze Reihe
von Gleichnissen zusammengestellt,
die Jesus erzählt von der Freude über einen Menschen,
der von Gott gefunden wird oder zu Gott zurückkehrt.
Die bekannteste ist die vom Verlorenen Sohn.
Eine zweite will ich jetzt auch noch vorlesen,
die eigentlich fast gleich ist wie die vom verlorenen Schaf.
Sie wird auch gleich im Anschluss daran erzählt.

Die Überschrift heißt: „Vom verlorenen Groschen“

Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und "einen" davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Auf die erste dieser beiden Geschichten von Jesus will ich mich
in der Predigt konzentrieren,
aber die zweite will ich gerne zum praktischen Beispiel machen.
Nun hoffe ich, dass das auch klappt und Sie mitmachen.

Heute morgen hatte ich noch einen Euro in der Hand,
den ich dann einem Kind gegeben habe.
Seither weiß ich nicht, wo er ist,
nur, dass er sich hier in der Kirche befinden muss.

Ich muss jetzt also Sie bitten zu suchen.
Irgendwo hier in der Kirche muss er sein, dieser Euro.
….

So ein Euro-Erlebnis hatten wir als Familie auch einmal
vor ein paar Monaten.
Da wanderten wir im Frühsommer über eine Skipiste.
„Schau genau auf den Boden“, dachte ich mir da.
„Da gibt es vielleicht etwas zu finden.“
Tatsächlich haben wir einen Euro gefunden!
Und über diesen Euro habe ich mich mehr gefreut
als über so manche Monatsüberweisung
mit ganz vielen Euros,
weil die Überraschung dabei war und der Findererfolg.

Thema: Freude

Die Freude ist das Thema dieser beiden Geschichten.
Und deshalb haben sie eigentlich landläufig
eine falsche Überschrift.
Es geht nicht eigentlich um den verlorenen Groschen,
sondern um den „wiedergefundenen Groschen“,
mehr noch, um die „Freude über den wiedergefundenen Groschen“.

Und genauso: Um die Freude über das wiedergefundene Schaf.

Damit ergibt sich noch etwas:
Wieder einmal erzählt dieses Gleichnis wie die meisten Gleichnisse Jesu weniger von den Menschen,
sondern vor allem von Gott.
Da liegt der Schwerpunkt.

Gott ist es, der sich so freut über die, die wieder gefunden werden!
Die himmlische Umgebung feiert.
Wie sonst in den Gleichnissen darf man darüber hinaus
nicht zu viel hineinlesen.
Es geht nicht um das Verhältnis 99 % zu einem Prozent.
Man könnte sich auch fragen, ob es überhaupt sein kann,
dass Gott, der alles sieht,
etwas verlieren könnte.
Darum geht es nicht.
Solche Spitzfindigkeiten nehmen nur die Pointe weg.
Es geht hier nicht um ein System bei Gott,
nicht um einen systematischen Gott,
sondern den sympathischen Gott.
Den malt uns Jesus vor Augen.

Jesus will, dass wir ihm zutrauen,
dass er uns sucht und sich freut über uns.

Diese beiden Dinge will ich auch herausstreichen,
erstens, dass Gott uns sucht,
und zweitens, dass Gott sich freut, wenn wir uns finden lassen.

1. Gott sucht

Wie Gott sucht wurde mir schon als Kind eindrücklich erzählt.
Wahrscheinlich haben die meisten von uns diese Geschichte
schon im Religionsunterricht oder in der Kinderkirche oder Kindergruppe einmal gehört,
vielleicht auch von den Eltern oder der Oma zuhause.

Ich erinnere mich noch, wie das dann ausgemalt wurde:
Der Hirte Jesus muss erst einmal weit laufen auf der Suche,
und dann muss er sich durch Wald und Gestrüpp kämpfen.
Schließlich hört er das Schäfchen leise an einem Abhang unten wimmern.
Es ist hoch riskant, wie er sich über die Hangkante hinauslehnt
und nach unten greift, wo sich das Schäfchen auch noch in Dornen verfangen hat.
So selbstlos sucht der Hirte Jesus.

Mir hat das als Kind Eindruck gemacht.
Und heute weiß ich,
dass diese Ausschmückungen durchaus biblisch gedeckt sind:
Was hat nicht Jesus alles getan
um uns zu suchen.
Er hat, wie es im Philipperbrief heißt,
seine himmlische Gottheit aufgegeben und ist Mensch geworden.
Er lag in der Krippe, lebte ohne feste Heimat,
riskierte für ausgestoßene Menschen sein Leben
und bezahlte schließlich dann sogar mit dem Tod am Kreuz.

Diese große Geschichte, wie Gottes Liebe die Welt sucht,
steht im Hintergrund der vielen Geschichten,
wie Jesus bis heute Menschen findet,
die sich verloren haben.

Die Geschichte, wie ein Mensch zum Glauben gefunden hat,
kann in der Regel auch erzählt werden als Geschichte,
wie Gott in Jesus Christus einen Menschen findet,
der verloren war.
Manche sind hier oder dort Jesus und seinem Wort begegnet
und immer wieder davongelaufen
und dann hat sie doch Jesus gefunden.
Und jetzt freuen sie sich miteinander.

2. Gott freut sich, wenn wir uns finden lassen

Damit sind wir beim Zweiten:
Gott freut sich, wenn wir uns finden lassen.

Wenn man im Internet nach Bildern von Jesus sucht,
dann finden sich da nicht nur Bilder vom Kreuz
oder von der Krippe,
sondern erstaunlich viele,
die Jesus als einen guten Hirten zeigen
mit einem Stab in der Hand und einem Schäfchen auf dem Arm
und einen glücklichen, seligen Gesichtsausdruck dabei.
In meiner Kinderbibel hatte Jesus das Schäfchen
auf die Schulter genommen und trug es heim.
So ähnlich habe ich es auch bei Krankenbesuchen
in etlichen Schlafzimmern gesehen.

Im Gleichnis vom verlorenen Groschen
und im Gleichnis vom verlorenen Sohn feiert Gott ein Fest,
als das Wiedergefundene da ist.

Gott wird dabei ganz menschlich gezeichnet,
allzumenschlich natürlich.
Aber das unterstreicht eben die Absicht,
auf die es Jesus gerade in der Situation ankam:
Er sagt:
Im Himmel wird mehr Freude sein über einen Sünder,
der umkehrt,
als über 99 Gerechte,
die der Umkehr nicht bedürfen.

Eben so, wie wir uns über die Überraschung meistens noch mehr freuen wie über das allzu Normale.
Wir freuen uns über eine Anmeldung zum Seniorenclubausflug
mehr als über die anderen,
wenn das jemand ist, der krank war und nun doch mit kann.

Überraschungsfreude im Fußball ist,
wenn z.B. im DFB-Pokal Amateure gegen Bundesliga gewinnen.

Beim Kuchenbacken für das Kirchturmfest kann es sein,
dass sich jemand über einen schon missratenen,
aber geretteten Kuchen mehr freut
als über einen, der einfach so gut geworden ist.

Solche Freude ist sympathisch
und so erzählt uns Jesus von Gott.

Konsequenzen für uns

Und wir?
Wir können uns in das Verlorene oder die 99 hineindenken.

Wenn wir zu den 99 Schafen gehören,
zu denen, die Jesus kennen,
zu seiner Herde gehören
und auf seine Stimme hören,
dann ist die Erzählabsicht dieser Geschichte für uns,
dass wir uns mitfreuen mit Jesus,
wenn das Verlorene gefunden ist.

Besonders beim Verlorenen Sohn
wird diese Seite herausgestellt.
Da gibt es ja den zweiten Sohn, der daheim blieb
und der am Ende vor der Frage steht:
Kann ich mich mitfreuen mit dem Vater
oder nicht – aus Hass und Missgunst?

Jesus bittet die, die ihm zuhören,
dass sie Verständnis für die Freude Gottes
an der Rettung der Verlorenen haben.
Damals waren das die Pharisäer und Schriftgelehrten,
von denen am Anfang erzählt wird,
dass sie sich über Jesus aufregten.
Sie „murrten“ und sagten vorwurfsvoll: Dieser nimmt die Sünder an!

Jesus findet gerade das prima,
wenn Sünder umkehren und ihm vertrauen.
Mir geht es auch so,
dass ich mich besonders freue,
wenn solche Leute in unserer Gemeinde Heimat finden,
die nicht von Geburt an im frommen Milieu aufwuchsen,
vielleicht sogar solche, die eine echte Kehrtwende im Leben hinter sich haben.

Verloren ist etwas anderes als verdammt

Die können nämlich auch am besten erzählen,
was es bedeutet, verloren zu sein.

Über diesen Zustand und seine Formulierung
habe ich etwas nachgedacht.
Wir kennen sie auch aus dem berühmten Bibelvers
Johannes 3, Vers 16:
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab,
damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben.

Mir gefällt, wie das Gleichnis von der Freude über das wiedergefundene Schaf
diese Formulierung vom „verloren werden“ illustriert.
Der Zustand „Verloren“ enthält keine Schuldzuweisung.
Verloren gehen ist etwas anderes als Davonlaufen.
Verloren sein ist etwas anderes als verdammt sein.

Wenn ein Schaf verloren ist,
dann ist es einfach eine Zustandsbeschreibung.
Es hat den Kontakt zum Hirten und zur Herde verloren.
Ohne Hilfe ist es verloren.

Solche Verlorene sind Menschen, die keinen Halt
und keinen Glauben haben.
Immer wieder begegnet mir die Einschätzung,
dass wir solche Verlorene erleben in unserer Welt:
Menschen ohne Werte,
Jugendliche, aber auch Ältere.

Verlorenheit spüre ich auch da,
wo ich erfahre, dass bestimmte Themen nicht angesprochen werden dürfen,
wo man Fragen nach Gott wegschiebt
oder Fragen nach Bereichen,
wo unweigerlich an Gott gedacht werden muss,
zum Beispiel das Sterben.
Da spürt man dann eine Orientierungslosigkeit oder Haltlosigkeit,
wo es gut täte,
wenn solche Menschen zur Freude mit Jesus kommen würden.

Das ist möglich!
Denn es hat eine weitere Stärke,
wenn wir die, die nicht bei der Herde sind,
als Verlorene bezeichnen:
Mit „verloren“ bezeichnen wir nichts Endgültiges.

Verloren ist nicht ausgesondert.
Verloren ist nicht gestohlen.
Verloren ist nicht weg.

Denn was verloren ist, kann wieder gefunden werden.
Es bleibt immer im Raum des Möglichen,
dass Verlorene gefunden und gerettet werden.

Damit kommen wir zu der guten Nachricht,
die in diesem Gleichnis für alle Verlorenen steckt.

Ich denke, es kann jedem passieren,
auch jedem von den 99, dass es eine Verlorenheit erlebt.
Wenn ich das bin,
dann darf ich von Jesu Botschaft her hoffen,
dass er mich sucht und mich ruft:
„Wo steckst du?“
Und ich bin sicher,
wenn ich mich finden lassen will,
wenn ich nicht davonlaufe,
dann wird er mich auch finden.

„Wo steckst du?“
Vielleicht lassen wir uns das von Gott einfach einmal fragen.
Wenn wir den Eindruck haben,
dass wir gerade den Kontakt zur Herde und zum Hirten
verloren haben
oder ihn noch nicht so richtig erlebt haben,
dann dürfen in diesem Gleichnis erfahren,
dass Jesus mit dieser Frage unterwegs ist
um uns zu finden.

Wenn uns eine Schuld verstrickt hat
oder wir den Eindruck haben,
dass die Sünde uns von Gott entfremdet hat,
dann dürfen wir ernst nehmen,
dass wir uns zwar verloren vorkommen,
aber dass wir uns eben auch finden lassen können
von Jesus.

Er will uns zurückbringen in die himmlische Freude.

Heute feiern wir ja Gemeindefest.
Ich wünsche uns,
dass wir es auch als Freudenfest feiern
aus der Freude über alle,
die zur Herde Gottes gehören,
die Altbewährten
und vor allem die, mit denen wir gar nicht gerechnet haben.
Amen.

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