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Predigt am Sonntag Quasimodogeniti
Kolosser 2,12-15
Thema:  Wer glaubt, lebt doppelt 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 23.04.2006 in Hemmingen

 

Liebe Gemeinde,

 

vorhin haben wir miteinander den Lobpreis auf Christus aus dem Kolosserbrief gebetet,

dann haben wir in der Schriftlesung noch einmal von Jesus gehört,

wie das war mit der Auferstehung und Ostern.

 

Ostern haben wir am letzten Sonntag gefeiert.

Und Ostern feiern wir heute auch noch,

aber mit einem kleinen Schritt mehr ins Danach - zu uns.

 

Heute beschäftigt uns,

was Ostern mit uns zu tun hat,

auch mit unserer Gegenwart im 21. Jahrhundert

nach dem damaligen Osterfest.

 

Auch der Kolosserbrief ist ja ein Brief,

der einige Jahre später die Christen erreicht hat.

Von der Gemeinde in Kolossä,

war keiner damals in Jerusalem dabei gewesen,

als Jesus auferstanden war.

 

Zunächst geht das in Kapitel 1 im Kolosserbrief

noch einige Verse so,

dass Christus in den höchsten Tönen gelobt wird,

z.B.

mit der Jahreslosung von 2001:

„In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit

und der Erkenntnis Gottes.“

Oder in dem ebenso bekannten Wort

Kolosser 2,9:

„Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“

 

Aber dann kommt die Brücke

von diesem Christus zu uns in den Worten,

die für heute Predigttext sind:

Mit diesem Christus seid ihr begraben worden,

mit ihm seid ihr auch auferstanden.“

 

Nun werden also die Späteren,

die Getauften, die an Christus glauben,

mit hineingezogen in das Christusgeschehen.

Oder besser:

Das Christusgeschehen nimmt uns in die Christusherrlichkeit hinein.

Das österliche neue Leben ist auch unseres.

 

Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag

aus Kolosser 2,12-15:

Mit (ihm,) Christus seid ihr begraben worden durch die Taufe;

mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben

aus der Kraft Gottes,

der ihn auferweckt hat von den Toten.

Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,

            die ihr tot wart

            in den Sünden

            und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches,

und hat uns vergeben alle Sünden.

Er hat den Schuldbrief getilgt,

            der mit seinen Forderungen gegen uns war,

und hat ihn weggetan

und an das Kreuz geheftet.

Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet

und sie öffentlich zur Schau gestellt

und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

 

Nun, was mag das heißen?

Mit ihm begraben?

Mit ihm auferstanden?

 

Wahrscheinlich lag keiner von uns schon einmal tot im Grab

und lebt wieder!

Dann stimmt es entweder nicht, was Paulus hier schreibt,

oder es ist anders gemeint, was hier verkündigt wird.

 

Diese Frage können wir erst entscheiden,

wenn wir wissen,

wie es gemeint ist,

was Paulus an die Kolosser schreibt.

 

Um dem näherzukommen,

möchte ich ein klein wenig ausholen.

 

   These: Wer glaubt, lebt doppelt

 

Es muss Paulus um zweierlei Leben gehen.

Im Einen bleiben wir unser Leben lang,

wer wir sind.

Im Andern können wir durch den Glauben

neues Leben empfangen.

Richtiger ist vielleicht,

von Leben in mehr als einer Dimension zu sprechen.

 

Ich gehe davon aus,

dass Menschen, die Glauben,

Leben in mehreren Dimensionen haben.

Oder, um es noch griffiger zu sagen:

Wer glaubt, lebt doppelt.

 

Zum Einen leben wir unserem Erdenleben

als Leiber mit einem Verstand.

Und unser Herz schlägt mehr oder weniger durch

von der Geburt bis zum Tod.

 

Zum andern, und das erkennt der Glaube,

leben wir in einem Leben vor Gott,

in einem weiteren Horizont

und einer Wirklichkeit,

deren Ränder unsichtbar sind. Ewig.

Wir sind nicht nur geboren,

sondern geschaffen und gewollt,

erlöst und mit der Hoffnung auf Ewiges Leben,

auch durch den Tod hindurch.

 

Man kann als Mensch diese Dimension auch spüren

und sie dennoch ablehnen.

Es gibt die Menschen,

die die Frage nach Gott spüren,

aber die Auseinandersetzung damit scheuen.

Es gibt die Menschen,

die Gottes Willen kennen,

aber doch die Konsequenzen nicht daraus ziehen –

und vielleicht sind das nicht nur die andern,

sondern sogar wir selbst.

 

   Wie das damals unmittelbar erlebt wurde

 

Die Menschen in Kolossä damals kannten sicher diese Dimension

des Lebens vor Gott.

Das war damals sozusagen Standard.

Aber die Menschen in Kolossä hatten einen andern Glauben,

bevor sie Christen wurden.

Wir können uns vorstellen,

dass Opfer für den Kaiser

und Triumphmärsche für die römischen Götter

von vielen als Belastung empfunden wurden.

Diese Götter forderten Geld und Unterwerfung.

Da musste man irgendwelchen Dingen und Menschen huldigen,

die Macht beanspruchten.

Äußerliche Macht, mit Gold und Getöse.

Belohnt wurden die Leute mit Ausschweifungen,

Essen und Trinken.

 

Aber das machte innerlich geistlich leer.

„Ihr wart tot in den Sünden“,

nennt Paulus das (V.13).

 

Wenn die Menschen von Paulus und anderen Evangelisten hörten,

dass Gott nichts verlangte,

sondern in Christus sich selbst gab,

dann machte das die ganze geistliche Weltsicht neu.

Dann gab es plötzlich

nicht mehr nur den irdischen Vater,

sondern einen himmlischen Vater dazu.

Der Vater Jesu Christi

stellte nicht zuerst einen Schuldschein aus,

sondern, wie es hier so schön bildhaft heißt,

heftet den Schuldschein ans Kreuz.

 

Die Leute, die sich darauf einließen,

erlebten das wie ein neues Leben.

Sie empfanden es dann wie eine neue Geburt.

Es ist ja bekannt,

dass die Bibel mehrfach von der Wiedergeburt im Glauben redet.

So auch im Wochenspruch vorhin ... (1.Pt.1,3).

Und Paulus schreibt an die Korinther:

„Ist jemand in Christus,

so ist er eine neue Kreatur;

das Alte ist vergangen,

siehe, Neues ist geworden.“

 

Man feierte einen solchen Wechsel vom alten Glauben

in die neue Gotteskindschaft mit der Taufe.

Ich möchte das einmal erzählen,

wie man sich das vorstellen kann,

damals in Kolossä.

 

Es wird eine kleine Gemeinde gewesen sein.

Vielleicht mussten sie sich sogar heimlich treffen.

Und an Ostern war dann ein Jahreshöhepunkt.

Die Neuen hatten schon darauf gewartet.

Denn Ostern war Tauftermin.

Damit sollte das neue Leben wirklich

auch kirchlich beginnen.

 

Die Menschen in Kolossä werden wohl zur Taufe

hinaus an einen Fluss gegangen sein,

und dort tauchten sie unter dem Wort Gottes unter

und wieder auf.

 

Die Neuschöpfung des geistlichen Menschen

wurde in der Taufe gefeiert

und der alte Glaube und seine Bindungen zurückgelassen.

Dieses Ereignis verglich man dann damit,

dass der frühere Mensch mit Christus begraben wird

im Untertauchen bei der Taufe.

Und so wie Christus neu auferstand,

so aufersteht auch der Gläubige im Glauben.

 

Häufig ließen die Menschen von der Taufe her

ihr ganzes Leben umprägen:

Sie bekamen ein neues Kleid,

nahmen einen neuen Namen an,

und lebten in der neuen Gemeinschaft

der Gemeinde.

 

Ihr altes Leben wurde durch eine neue Dimension erweitert.

Sie blieben die, wie sie ihre Mutter geboren hatte,

und hinzu kam

eine zweite befreite, glückliche und erlöste Existenz

in Christus,

als Wiedergeborene in der Gemeinde.

 

Dieses Neue erleben wir heute viel weniger.

Zum Einen,

weil wir dann, wenn wir als kleine Kinder getauft werden,

den irdischen und den geistlichen Neuanfang

nahe beieinander feiern.

Zum andern,

weil es in unserer Kultur keinen so radikalen Neuanfang bringt,

wenn Menschen zum Glauben kommen.

 

Können wir dennoch das Neue empfinden?

Das neue Leben in Christus?

Wie kann es bei uns gehen, dass etwas davon spürbar wird:

Wer glaubt, lebt doppelt, zeitlich und ewig?

 

Es wird sie auch unter uns geben,

die, die sich an ihrem Leben im Glauben in der Gemeinde freuen.

Es wird auch die geben,

die davon erzählen können,

wie sie aus Erstarrung in Sünden heraus lebendig gemacht wurden.

Und es wird die geben,

die sich das immerhin vorstellen können

und froh sind,

dass ihnen das Leben als Kind Gottes

schon von ihren irdischen Eltern eingeprägt wurde

und die eins wie das andere nicht missen möchten.

 

Es ist letztlich nicht eine Frage unserer Vorgeschichten,

sondern wie wir uns das bewusst machen oder aneignen

oder zueignen lassen,

was Leben in Christus von Ostern her bedeutet.

 

Ich habe länger an Beispielen herumüberlegt.

Wie können wir das verstehen,

was Paulus meint,

wenn er sagt,

dass wir mit Christus auferstanden sind durch den Glauben

und mit ihm lebendig gemacht?

 

Es gibt wohl nichts in der Welt,

was dem wirklich entspricht,

weil die Auferstehung Jesu Christi nun einmal etwas einmaliges ist.

 

Unter anderem habe ich mich an die berühmte Schlagzeile

der Bild-Zeitung erinnert,

als Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt worden war.

„Wir sind Papst!“ hieß es da.

Wir Deutschen, war gemeint.

Die Schlagzeile schaffte das so ein bisschen,

was der Kolosserbrief für Ostern macht,

nämlich Menschen in ein Geschehen mit hineinzunehmen,

das zu anderer Zeit an anderem Ort geschehen war.

 

Wir sind auferstanden!

So können wir uns das immer wieder als Christinnen und Christen

zurufen,

weil damals Ostern Christus auferstand.

Wir sind mit ihm lebendig gemacht!

 

Wie gesagt,

das Beispiel hinkt dennoch.

Denn keiner von uns kann das Papstamt irgendwie leben.

Aber die Auferstehung,

die können wir leben.

Die betrifft unser Leben.

 

Die Bildzeitung, wenn sie an Christen dächte,

hätte also mit mehr Recht

von Ostern drucken können:

Wir sind auferstanden!

 

Das ganze Blatt voll diese Botschaft!

Altes ist mit begraben,

Neues ist mit Christus auferstanden.

Vielleicht lassen wir uns mitreißen dadurch,

dass wir das glauben und uns Mut machen lassen.

 

Der Glauben hat, wenn man es einmal unbescheiden ausdrücken will,

einen Vorteil gegenüber dem einfachen Leben.

Wer doppelt lebt, auch in der Existenz als Kind Gottes,

der lebt gleichzeitig im wechselvollen irdischen Leben

mit seinen Krankheits- und Todesfällen

und in dem Leben der göttlichen Liebe von Ostern.

 

Gerade diese Woche haben mich Tod und Krankheit unter uns

betroffen gemacht.

Und da ist es von Bedeutung,

dass wir glauben dürfen,

dass das Ostern nicht aufhebt.

 

Lassen Sie uns im Licht der Auferstehung leben.

Altes darf mit Jesus begraben sein,

Neues ist durch ihn geworden, für uns.

Nicht die Forderungen,

sondern Gottes Vergebung bestimmen das geistliche Leben

und durch Taufe und Glauben

dürfen wir uns wie neu geboren fühlen.

 

So heißt ja der heutige Sonntag:

Quasimodogeniti = Wie die neugeborenen Kinder.

Diese Woche habe ich beim Taufgespräch

wieder mal eins dieser Kleinsten unter uns sehen dürfen.

Und wenn es in den Armen seiner Mutter friedlich ruht,

dann ist das ein Musterbild für Geborgenheit.

 

Die Geborgenheit durch Christus

hat Dorothea Steigerwald in ihren Figuren immer wieder ausgedrückt.

Leben in zwei Dimensionen mit der

großen Hand, in der das kleine Menschenkind lebt.

Damit hat sie das geformt,

dass wir über unser menschliches Erdenleben hinaus

wie Neugeborene

in Gottes Hand leben.

Wer glaubt, lebt doppelt.

Amen. 

 

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