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Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis
Klgl.3,22ff
Thema: Hoffnungsgeschichten 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 09.10.2011 in Hemmingen

Liebe Gemeinde,
wie gut, dass wir von der Auferstehung singen können und Gott danken dürfen dafür, dass nicht alles aus war mit Kreuz und Grab!

Wie gut, dass wir mit dem Wochenspruch sagen können „Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium!“ (2.Tim.1,10).

Wie gut, dass wir als Christenheit von einer Hoffnungsgeschichte herkommen – und das, obwohl es zwischendurch gar nicht mehr danach ausgesehen hatte.

Damals bei der Kreuzigung

Jesus war am Kreuz gestorben. Dann wurde er am gleichen Tag in aller Eile begraben. Was war am nächsten Tag? Sabbat, die Jünger ruhten. Weiter wird uns in den Evangelien nichts berichtet. Für sie war es wohl mehr oder weniger aus. Wir können davon ausgehen, dass die Jünger total am Boden waren, voller Angst, die Türen verrammelt.

Was haben sie da miteinander gesprochen? Hatten sie Worte? Hatten sie Lieder oder Gebete? Gab es etwas, womit sie sich gegenseitig trösten konnten?

Wir wissen es nicht, was sie einander da gesagt haben. Wir wissen nicht, was sie Gott noch zugetraut haben.

Der heutige Sonntag hat zum Thema, was wir Menschen in Situationen, die aussichtslos aussehen, sagen und glauben können.

Drei Szenen will ich dazu beschreiben. Die erste hatten wir jetzt schon, ausgehend vom Wochenspruch. Der Tiefpunkt nach Kreuzigung und Tod Jesu.

Die zweite Szene gibt uns der Predigttext aus den Klageliedern. Dort geht es um die Zerstörung Jerusalems. Keiner weiß, wie es weitergehen soll.

Und die dritte Szene wird unsere Gegenwart sein. Auch da sieht es oft genug hoffnungslos aus. Menschen erhalten niederschmetternde Diagnosen. Familien sind im Streit. Schuld lässt am Leben verzweifeln. Globale Entwicklungen machen hilflos.

Damals in Jerusalem

Lassen wir uns jetzt zunächst mit dem Predigttext hinein nehmen in eine Szene damals in Jerusalem, etwa 600 vor Christus. Der Tiefschlag kam zu der Zeit nicht überraschend. Schon einige Jahre und Jahrzehnte steuerte das Königreich Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem darauf zu, dass die Großmacht Babylon irgendwann definitiv zuschlagen würde. Der Prophet Jeremia sah es genauso kommen, wie andere Propheten vor ihm schon.

Er forderte eine Hinwendung zu Gott und Vertrauen in seine Hilfe. Aber in Jerusalem wusste man es besser und wollte den mahnenden Propheten nicht hören. Die Gegner warfen Jeremia sogar in einen tiefen Brunnen.

Dann kam das Jahr 597 vor Christus und die Babylonier waren tatsächlich da. Mit brutaler Gewalt wurde die Stadt eingenommen. Was wertvoll war, wurde mitgenommen. Wenig später wurde die Stadt kurz und klein geschlagen. Gebäude wurden zu Steinhaufen, auch der Tempel ein Schutthügel. Vom Holz gab es nur verkohlte Reste. Die Menschen waren zu einem großen Teil entführt in eine babylonische Gefangenschaft, aus der kein kurzfristiges Entkommen war.

Jeremia kam in diesen Zusammenhängen wieder heraus aus dem Brunnen und seinem Loch. Aber oben sah es nicht besser aus. Es war zum Jammern. Die Pracht der Stadt dahin. Die Häuser und Straßen verlassen. Ein paar Menschen, die sich ziellos und mit hängenden Mienen zu orientieren versuchen.

Wir finden diesen Tiefpunkt der Geschichte des Volkes Israel in dichterische Worte gefasst in der Bibel. Sie sind in diese Situation gestellt, in der der Prophet Jeremia stand. Diese Dichtung heißt in unserer Bibel „Klagelieder“, bekannt als die „Klagelieder Jeremias“. Die Verse dort nehmen uns hinein in das trostlose Jerusalem, erst recht, wie es nachts daliegt.

Bevor ich zum Predigttext selbst komme, möchte ich zunächst vom Anfang der Klagelieder lesen (Klgl.1,1-2): “Wie liegt die Stadt so verlassen, die voll Volks war! Sie ist wie eine Witwe, die Fürstin unter den Völkern, und die eine Königin in den Ländern war, muss nun dienen. Sie weint des Nachts, dass ihr die Tränen über die Backen laufen. Es ist niemand unter ihren Liebhabern, der sie tröstet.“  Von dieser Trauer und Trostlosigkeit sind 4 der 5 Kapitel Klagelieder geprägt. Jerusalem und das Volk Israel hätten in dieser Situation von der Landkarte verschwinden können. Aber mitten in der Klage, mitten in den Klageliedern, taucht etwas auf von dem, warum es eben doch nicht aus ist mit denen, die an den Gott Israels glauben.

Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag aus der Mitte der Klagelieder, Kapitel 3:

Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, - und deine Treue ist groß. - 24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. 25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. 26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. 31 Denn der HERR verstößt nicht ewig; 32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

Liebe Gemeinde, passen solche Worte in einen zerstörten Tempel in einer zerstörten Stadt? „Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind?“

Ist das Güte?

Mir geht es so, dass ich solche Botschaften immer wieder höre. Da wird ein Mann in einen Unfall verwickelt. Mit einem Schleudertrauma und Schulterbruch kommt er heraus. Und dann trifft man ihn und seine Augen strahlen glücklich aus dem rundum verbundenen Kopf heraus und er sagt: „Mensch, war das Führung! Ich hätte tot sein können oder müssen bei diesem Zusammenstoß!“ Damit mit meint er: „Die Gefahr war groß, aber: Gott hat mich in seiner Güte am Leben gelassen!“

Wenn ich solches höre, freue ich mich mit. Aber unwillkürlich gibt es auch die heimliche Frage: Wäre es nicht eigentlich Güte gewesen, wenn das andere Auto einfach später an die Stelle gekommen wäre und der Unfall überhaupt nicht passiert wäre? Warum ist es Güte, wenn einer mit Schleudertrauma und Schulterbruch davonkommt?

Warum redet es hier mitten in den Klageliedern von Güte angesichts einer zerstörten Stadt Jerusalem?

Diese Erkenntnis kann nur schwer aus dem kommen, was da gerade passiert ist. Sie gründet vielmehr in dem, was schon die ganze Zeit passiert. Von der Güte Gottes zu reden angesichts eines Schicksals, gründet nicht in dieser Situation, sondern in der Erfahrung mit diesem Gott im Ganzen.

Gott, der immer schon geholfen hat, der Abraham, Isaak und all die Väter und Mütter begleitet hat, der blieb, egal was passierte, der stand schon immer für Treue. Die Sintflutgeschichte erzählt vorbildlich davon und klingt ganz ähnlich wie unser Predigtvers: Bei der Flut war es fast aus, sogar die Barmherzigkeit Gottes schien am Ende, aber sie war es doch nicht. Die Güte des Herrn war’s, dass es nicht gar aus war, seine Barmherzigkeit hatte doch kein Ende. Solange die Erde steht sollte nicht aufhören Sommer und Winter, Frost und Hitze, Tag und Nacht!

Diese Überzeugung begleitet unseren Glauben an diesen Gott bis heute. Gottes Güte ist alle Morgen frisch und neu. Seine Treue ist groß.

Diese Perspektive hat das Glauben an den Gott Israels seit jeher bestimmt und wurde im Glauben an Jesus Christus verstärkt. Wer mit den biblischen Geschichten lebt, hat jede Menge Anlass, von einem positiven Gottesbild auszugehen, wie trist die Situation gerade auch aussieht. Das war es, was auch die Dichtung der Klagelieder zu dieser Zuversicht bringt, dass für Jerusalem Hoffnung ist. Auch wenn die Stadt wie ausgestorben daliegt – warum sollen Gottes Verheißungen nicht leben?

Die Klagelieder hätten die Situation der zerstörten Stadt auch anders interpretieren können. Aber: Sie nehmen es positiv, was geschah. „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“

In der Rückschau, die wir als Bibelhörer heute haben, können wir festhalten: Auch in diesem Fall hat sich dieses Vertrauen in Gottes Wege bewährt. Mit Jerusalem war es tatsächlich nicht gar aus. Schon gar nicht mit denen, die an den Gott glaubten, dessen Tempel da zerstört war. Ihr Glaube wuchs. Sogar in der Gefangenschaft hielt er durch. Und irgendwann kamen sie nach Jerusalem zurück.

Heute unter uns

Für unseren Erfahrungsschatz als Christenheit ist diese Geschichte ein Baustein von vielen, die unser Vertrauen in Gott aufgebaut haben. Ein neuer Grundstein dieses Vertrauens war die Geschichte von Jesus und wie er auferstanden ist. Darüber hinaus haben wir eine Menge an kleinen Geschichten, die den Glauben an die „Güte des Herrn“ bewährten und unser Vertrauen in Gott prägten. Neben den großen Bausteinen dieser biblischen Höhepunkte gibt es eine Menge auch ganz kleiner, vielleicht eigener Erfahrungen, die wie kleine Füllsteine unser Vertrauen in Gottes Treue verdichten.

Neben den großen Geschichten des biblischen Volkes, der Christenheit oder der Kirche, gibt es auch eine Menge persönlicher Geschichten, auf denen unser Vertrauen in Gottes Treue gründet. Es ist besonders schön, wenn wir unsere eigenen, persönlichen Hoffnungsgeschichten haben.

Es ist sicher weise, dass wir uns von den Hoffnungsgeschichten prägen lassen und nicht von der Trostlosigkeit. Neben all den Katastrophengeschichten in der Welt sind solche wichtig wie die von den Bergleuten in Chile. Da haben wir in den letzten Jahren erlebt, wie Menschen wunderbar überlebt haben.

Ich bin dankbar, dass wir hier in der Gemeinde in letzter Zeit einige Geschichten erleben, die genau zum Vertrauen der Klagelieder passen. Genau die sollten wir uns auch weitererzählen, wenn wir dazu beitragen wollen, dass unser Glauben von Hoffnungsgeschichten geprägt bleiben soll!

Es gab Ende letzten Jahres bei uns in Hemmingen eine ganze Reihe von Tiefschlägen in Form von Diagnosen, die bestürzt machten: Zum Beispiel Krebsarten, bei denen sich Ärzte gezwungen sehen darauf hinzuweisen, dass mehr als 6 Monate Lebenszeit in der Regel nicht mehr zu erwarten sind.

Heute leben die Leute aus unserer Gemeinde, die im letzten Jahr mit dieser und anderen ähnlichen Diagnosen konfrontiert waren, alle noch. Aber das ist mir für unseren heutigen Zusammenhang nicht einmal das heute Wichtigste. Als wichtiger erlebte ich, wie Krankengeschichten vom Vertrauen in Gott geprägt sein konnten. Wir leben in unserer Gemeinde von dem Grundvertrauen, dass es die Güte des Herrn ist, die jeden Morgen neu ist.

Von den Betroffenen haben ein paar erleben dürfen, dass die Ärzte sagen: Sie sind frei von diagnostizierbaren Resten. Andere wissen: Die Krankheit ist da und sie wird tödlich sein. Gerade dann beeindruckt es, wenn Menschen die Zeit, die Ihnen geschenkt ist, als Zeit des Güte Gottes und der Hoffnung leben.

An der Hoffnung festzuhalten auch im Angesicht von Tod und Begrenztheit, das ist Thema dieses Sonntags. Im liturgischen Kalender steht dazu der Untertitel: „Die Auferstehung vor dem Tode“.

Die ist mir in letzter Zeit am Sterbebett einer Frau wichtig geworden. Sie hat eine tödliche Diagnose. Aber sie hilft Menschen, die sie besuchen, der Güte Gottes zu vertrauen. Wer sie im Krankenhaus singen hörte, fragte, wie das sein könnte. Sie weiß, dass es mit ihrem Leben in Hemmingen zu Ende geht, aber sie lebt schon darüber hinaus und deshalb umso getroster hier. Und sie kann andere in ihrer Hoffnung bestärken. Das ist ein Beispiel für das, dass es nie „gar aus“ ist, solange wir leben!

Schluss

Hätten Sie gedacht, dass in den Klageliedern Jeremias etwas Bedeutendes steht? Die sind in unserer Bibel ein unscheinbares Buch, versteckt in den Propheten. Aber die Verse unseres Predigttextes, sind in der Lutherbibel alle fett gedruckt. Das sind Verse zum Merken. Die helfen in Krisenzeiten, wenn vielleicht nicht einmal lesen geht.

Ich habe sie in meinem Leben zum ersten Mal intensiv gehört, als ein geistlicher Vater in einem anderen Dorf sie für seine Beerdigung ausgesucht hatte.

Worte der Hoffnung haben gerade dort ihren Platz, wo es ums Aus sein geht. Es ist aus, aber nicht gar aus. Gottes Güte reicht weiter als wir sehen. Die Auferstehung darf uns bestimmen. Seine Treue ist groß. Amen.


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