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Predigt am Sonntag Trinitatis
Johannes 3,1-8 mit einem Blick auf die Barmer Theologische Erklärung
Thema: Das Reich Gottes sehen 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 07.06.2009 in Hemmingen
(Wahlsonntag: Europawahl, Regional- und Kommunalwahlen)

Zusammenhang im Gottesdienst:
Schriftlesung: Die Bibelworte aus der Barmer Theologischen Erklärung, gelesen von der Gemeinde aus dem Gesangbuch, jeweils mit Überleitung durch den Pfarrer.

Lied vor der Predigt: Wir glauben Gott im höchsten Thron (184)

Liebe Gemeinde,

nach den Bibelworten von vorhin aus der Barmer Theologischen Erklärung hören wir jetzt auf den Abschnitt, der heute Predigttext ist. Es sind die Verse 1 bis 8 aus Kapitel 3 im Johannesevangelium:

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.

Liebe Gemeinde,

dieser Predigttext knüpft ganz an Pfingsten an: Der Heilige Geist wird uns vorgestellt als einer, aus dem wir neu geboren sein können.

Ein neues Leben ist der Geist also nicht nur für die Kirche, wenn wir Pfingsten als Geburtsfest der Kirche feiern, sondern auch neues Leben für jeden einzelnen, für dich und mich, in jedem Alter.

Dieses neue Leben wird hier als Bedingung dafür genannt, dass wir ins Reich Gottes kommen: Da heißt es: „Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“

Und noch einmal - doppelt also – steht im allerersten theologischen Satz der Antwort Jesu an Nikodemus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“

[Thema]

Anlässlich des heutigen Wahltages und des Jubiläums der Barmer theologischen Erklärung ist mir aufgefallen, wie sehr diese Worte von der „Wiedergeburt“ auf das „Reich Gottes“ bezogen sind.

Sie sind gar nicht so individualistisch, wie ich sie meistens wahrgenommen habe. Da geht es also offensichtlich nicht nur um einen individuellen neuen Anfang, sondern um Teilhabe am Reich Gottes. Und dieses Reich Gottes steht wiederum in einem bestimmten Zusammenhang zum weltlichen Reich von Staat und Gesellschaft.

In diesem Spannungsfeld will ich heute vor allem bleiben: Zwischen Wiedergeburt und Reich Gottes auf der einen Seite und weltlichem Reich und Politik auf der andern Seite.

[Was ist Wiedergeburt?]

Zuerst: Was ist Wiedergeburt? Dazu würden manche vielleicht erzählen: „Wiedergeburt geht so: Ich begegne der Botschaft von Christus, daraufhin bereue ich meine Sünden und damit mein altes Leben. Dann lasse ich mich taufen im Wasser und erlebe gleichzeitig oder später eine Geisttaufe, mit der wunderbare Glaubenserfahrungen in mir aufkommen.“

So kann Wiedergeburt als Erlebnis sein. Es ist wunderbar, wenn ein Mensch so eine Bekehrung und Erneuerung in seinem Leben erfährt. Ich wünsche mir viele solche Erfahrungen in unserem Land und viele wiedergeborene Christen in unserer Kirche, die davon erzählen können, dass und wie sie ein völlig neues Leben angefangen haben.

Auf der anderen Seite aber erlebe ich bei uns viele, die ich als wiedergeborene Christinnen und Christen schätze, obwohl sie ganz anders in den Glauben an Jesus hineingewachsen sind. Menschen kommen auf äußerlich verschiedenen Wegen, sogar in verschiedenen Konfessionen zum Reich Gottes dazu.

Diese Jesusworte hier lese ich auch so, dass mehr Wert auf das Dass der Wiedergeburt gelegt wird - dass die Wiedergeburt im Ergebnis das Reich Gottes eröffnet - als darauf, wie sie stattfindet. Wiedergeburt weniger als Erlebnis als als Ergebnis. Wir werden also eher darauf kommen, was das Wesen der Wiedergeburt ist, wenn wir uns ihren Effekt klar machen können.

Als Schlüssel dafür will ich den zentralen Vers nehmen, der heißt: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“

Wiedergeburt macht demnach, dass ein Mensch das Reich Gottes sehen kann. Das ist deshalb nicht selbstverständlich, weil das Reich Gottes unsichtbar ist. Jesus wird in der Bibel auch damit zitiert, dass er sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Aber das Neue, das mit Jesus kam, war seine Aussage, dass das Reich Gottes mitten unter uns ist, mitten in dieser Welt. Und zwar durch Jesus selbst. Da wo er ist, da wo er wirkt, da wo sich durch den Geist Jesu Leben verändert, da ist das Reich Gottes in dieser Welt.

Wenn es um die Frage geht, wer dazugehört zum Reich Gottes, ist es leider so, dass wir nicht sagen können, dass alle dazu gehören - auch wenn’s schwer fällt, das auszusprechen. Viele Menschen sehen das Reich Gottes nicht oder noch nicht. Leider erkennen viele in Jesus nicht den Sohn Gottes. Viele glauben nicht an das ewige Leben. Sie trauen Jesus nicht zu, bei uns zu sein. Damit zeigen sie, dass ihnen das Reich Gottes verborgen ist.

Das soll aber alle, die Jesus nachfolgen wollen, nicht unsicher machen. Ich denke, dass wir uns als Einzelne in Sachen Wiedergeburt nicht fragen sollten: Bin ich wiedergeboren? Sondern: Sehe ich das Reich Gottes? Sehe ich Jesus als den Christus? Wenn ich dazu ein Ja habe, auch mit Zweifeln, dann darf ich glauben wiedergeboren zu sein, denn Gottes Geist hat mir gegeben, das Reich Gottes zu sehen.

[Situation im „Reich“ 1934]

Das Reich Gottes zu sehen und zu leben, das macht einen Unterschied zu denen, die es nicht sehen. Besonders deutlich ist das in der Geschichte immer dann geworden, wenn die Umwelt der Christinnen und Christen besonders auffällig unchristlich war.

Das war damals 1934 in Deutschland der Fall. Hitlerdeutschland war im Begriff, alle Lebensbereiche einschließlich der Kirche gleichzuschalten. Die Reichskirchenregierung war nationalsozialistisch und die so genannten „Deutschen Christen“ besetzten immer mehr leitende Positionen. Das ging, wie von damals erzählt wird, auch bis in unser Hemmingen.

Die betroffenen Kirchenführer waren dem Irrtum verfallen zu glauben, dass die Weltanschauung von Nazideutschland eine Manifestation von Gottes Reich sei und das war ein gewaltiger Irrtum.

Nur wer im Sinne unseres Predigttextes aus Wasser und Geist wiedergeboren war, konnte diesen Irrtum geistlich erkennen. Und diese Menschen spürten das voneinander, trafen sich und veranstalteten diese denkwürdige Synode 1934 in Wuppertal-Barmen. Dort war das Reich Gottes so wirksam, dass die durchaus schwierige Aufgabe einen Bekenntnistext zu erstellen und zu verabschieden einstimmig erfolgte.

Wir haben vorhin ja gehört, mit welchen Bibelworten dem Reich Gottes Geltung verschafft wurde gegenüber dem damals völlig abgedrehten weltlichen Regiment. Die biblischen Worte stehen vornean, weil die Christenheit die Erfahrung immer wieder gemacht hat, dass das Festhalten an den zentralen Aussagen des Evangeliums entscheidend war für das Bleiben der Kirche am Reich Gottes.

[Zwei Reiche]

Nun hat die evangelische Theologie formuliert, dass es zwei Reiche gibt. Auf Martin Luther führt man das zurück, aber auch Karl Barth, der übrigens die Barmer Erklärung im Entwurf verfasst hat, hat ähnliches formuliert.

Wenn es nun zwei Reiche gibt, nämlich Reich Gottes und Welt, wer gehört wohin? Zum Reich Gottes gehören als menschliche Glieder die Wiedergeborenen, die Glaubenden, Christi Brüder und Schwestern. Zum weltlichen Reich gehört jeder Mensch, der in einer bestimmten Welt lebt.

Im Mittelalter konnte man das noch leichter auf bestimmte Königreiche eingrenzen. Für uns ist die Welt global geworden.

Trotzdem hilft es, wenn wir es uns die Situation konkret für Deutschland oder für unseren Ort vorstellen. Da gibt es eine staatliche Macht, den Bundestag oder den Gemeinderat. Die haben in Luthers Begriffen das weltliche Regiment.

Dabei sind die, die sich zum Reich Gottes zählen, eine Teilmenge von allen, die hier wohnen und Staatsbürger sind. Wenn ich Christ bin und wiedergeboren, dann bin ich sowohl Teil des Reiches der Welt als auch Teil des Reiches Gottes.

Schon das zeigt, dass es nicht um zwei gleichartige Größen geht, die nebeneinander stehen, keine direkte Konkurrenz. Vielmehr geht es um zweierlei Reiche. Das eine ist Staat und Gesellschaft, das andere ist Teilhabe an Gottes unsichtbarem Reich, dessen Volk die unsichtbare Kirche aus allen Gläubigen ist. Im Predigttext findet sich die Unterscheidung der beiden Reiche in dem Satz: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.“

Unser Predigttext trifft sich nun mit der Barmer theologischen Erklärung darin, dass für beide das Reich Gottes Wahrheit und echtes Sehen bedeutet. Es steht geistig über dem weltlichen Reich, hat Wahrheitsanspruch von oben.

Das betont die Barmer theologische Erklärung eins ums andere Mal: Sie formuliert das Christusprinzip, d.h. dass vom Reich Gottes her Jesus Christus der Maßstab ist. Für Christen gilt dieser Maßstab auch für das Handeln in weltlichen Dingen.

Trotzdem fordern weder Jesus noch die Barmer Erklärung, dass das Reich Gottes das weltliche Reich erobern solle oder ähnliches. Die beiden Reiche haben unterschiedliche Aufgaben. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist,“ heißt es an anderer Stelle (Mk.12,17).

Nach so viel Theorie wird es jetzt am politischen Wahltag noch durchaus praktisch: Wenn ich wiedergeborener Christ bin und gleichzeitig Teil des weltlichen Reiches, dann soll ich dem weltlichen Reich geben, was ihm gehört, so weit das der christliche Glaube nicht verbietet. Das bedeutet für alle Christen über 18, dass sie heute wählen gehen sollen nach dem Motto: Gebt der Demokratie, was der Demokratie ist!

Im Vorfeld ist zu sagen gewesen, dass Christinnen und Christen aufgerufen sind zu kandidieren. Das müssen nach den Gesetzen der Demokratie nicht alle machen, aber doch viele.

Ich glaube, dass wir als evangelische Kirche die Unterscheidung der beiden Reiche besser leben, wenn die Christenheit durch engagierte Christinnen und Christen in Staat und Gesellschaft Einfluss nimmt, also durch Persönlichkeiten, die wählen und kandidieren. Das bringt die Unterscheidung der beiden Reiche besser zum Ausdruck, als wenn wir als Kirche politisch eingreifen würden. Kirche ist nicht als solche Teil des Wahlvolks, sondern die Glieder der Kirche sind Teil des Wahlvolks.

Dennoch ist es manchmal unvermeidlich, auch als Kirche politisch zu reden. Damals in Barmen war es eine Mischung. Es waren Kirchenvertreter, aber nicht die offiziellen, die sich dort versammelten.

[Örtliche Anwendung]

Auch in Hemmingen haben uns solche Fragen in den letzten Monaten bewegt. Was sagen wir als Kirche zu Anliegen anderer Religionen?[Der Wunsch des neu gegründeten DITIB-Vereins nach eigenen Gebetsräumen bewegt die Gemüter und hat im Ort u.a. zu Briefwechseln mit dem Bürgermeisteramt und Leserbriefen geführt.]

Hier möchte ich auch unterscheiden zwischen den beiden Reichen: Als christliche Bürgerinnen und Bürger müssen wir, übrigens auch im eigenen Interesse, dafür eintreten, dass Religionsfreiheit herrscht. Wir bejahen, dass nach den Regeln der von uns bejahten Demokratie andere Religionsgemeinschaften Treffpunkte haben und Räume schaffen können. Dafür muss das Gemeinwesen bereit sein und die verschiedenen Ansprüche in einer guten Weise kanalisieren.

Gleichzeitig erkennen wir gerade als Menschen, die aus dem Geist wiedergeboren sind, dass ein anderer Glaube wie zum Beispiel der Islam an einem andern Reich baut als an Gottes Reich, wie es Jesus Christus verkündigt. Vom Reich Gottes her müssen wir andere Wahrheiten kritisieren und können deren Kultivierung nicht unsererseits unterstützen. Es gilt vielmehr, allen Menschen Jesu Einladung zum Reich Gottes weiterzugeben. Aus Liebe zu den Menschen aus allen Weltanschauungen gilt es ihnen zu bezeugen, dass wir an den dreieinigen Gott glauben – wie wir’s heute am Sonntag Trinitatis feiern - und dass Jesus Christus Gottes Sohn ist, der der Weg und die Wahrheit und das Leben ist.

 [Schluss]

Ein paar Verse weiter im Johannesevangelium finden wir nach unserem Predigttext noch einen sehr bekannten Vers, der auch zweierlei Reich offenbart und eine Brücke zwischen beiden, nämlich die Liebe Gottes. Dabei wird deutlich, dass das Reich Gottes voller Liebe ist für die Welt: Die Liebe Gottes ist es, die die Welt so liebt, dass Gott seinen eingebornen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (nach Joh.3,16).

Amen.

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