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Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis
Johannes 8,3-11
Thema: Nach hinten zu, nach vorne offen 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 01.07.2007 in Hemmingen

 

3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte

4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.

5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?

6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.

7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.

9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.

10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?

11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

 

Liebe Gemeinde,

 

heute ist der Sonntag im Kirchenjahr,

dessen Überschrift heißt:

„Gemeinde der Sünder“!

 

Das ist doch ein prima Motto für ein Gemeindefest, oder?

Es gibt Orte, da wird unter diesem Motto gefeiert:

„Wir sind alle kleine Sünderlein,

der Herrgott wird es uns bestimmt verzeih’n“ –

und dann wird über die Stränge geschlagen.

 

Ich will und kann aber keinen rheinischen Karneval

in Hemmingen ausrufen.

Wir sind keine Gemeinde, die Sünden im Voraus gutheißt.

Erkenntnis der Sünde ist lenkt den Blick

tatsächlich auf Tiefpunkte des Lebens.

Sie ist als solche kein Thema für einen Höhepunkt wie heute.

 

Das weiß auch, wer sich außerhalb der Festzelte

ernsthaft über die Sünde besinnt.

Sie ist eine ernste Sache.

Man wirft uns das als Kirche manchmal auch vor:

Ihr redet immer von der Sünde,

da kann doch keine Feierstimmung aufkommen,

da muss man sich schlecht fühlen,

seine Fehler bedenken

beichten

und überlegen, für was man alles Vergebung braucht.

 

Beim Überlegen dazu,

wie wir diese ernste Sache Sünde mit dem heutigen Fest

zusammenbringen können,

kam mir gestern das Hochzeitspaar zur Hilfe.

Man sieht es ja auch noch:

Blumengebinde zeigen die festliche Kirche.

 

Es hatte einen Trauspruch ausgewählt,

der Vergebung und Liebe in einen Atemzug zusammenbringt.

Auch bei der Hochzeit war die Vergebung der Sünde ein Thema,

weil sie so wichtig ist für die Liebe.

Da heißt es in Kol. 3, 13 und 14:

„Vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr jedem von euch Vergebung geschenkt hat, so gebt sie weiter. Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält.“

 

Vergebung und Liebe kommen da miteinander vor.

Sie gehören ganz eng zusammen.

Liebe ist nur möglich,

wenn wir einander vergeben können.

Kein Ehepaar würde auch nur eine kurze Zeit überstehen,

wenn einer dem andern unnachsichtig seine Fehler aufzählt.

 

Vergebung und Liebe haben als ein enges Verhältnis.

Vergebung ist etwas so Wunderbares,

dass dort immer auch Liebe ist.

Es zeichnet uns aus und ist unsere Stärke, dass wir als Christen

um die Sünde keinen Bogen machen müssen,

weil wir sie im Zusammenhang der Vergebung

und der Liebe Gottes bedenken können!

Wir müssen von der Vergebung reden,

wenn wir realistisch von der Liebe reden wollen.

Und das wollen wir als Christen ja, gerade am Gemeindefest.

 

So ist dieses Thema doch ein Thema auch für das Gemeindefest,

kein niederdrückendes,

sondern ein befreiendes Thema.

Wir sind zwar Sünder,

aber wir müssen es nicht bleiben,

weil Gott uns in Jesus Christus nicht verdammt,

sondern wie ein liebender Vater seine Kleinen

oder eine Mutter ihre Kinder in die Arme nimmt.

 

Jesus nimmt die Frau an

und sie wird eine befreite Sünderin,

eine, bei der ein in der Rückschau verbocktes Leben

wieder neue Perspektiven gewinnt.

 

Aber nun einmal hinein in diesen Bericht,

in dem ich viererlei Personen entdecke:

Mose, die schriftgelehrten Ankläger,

Jesus und die Sünderin.

 Mose

 

Historisch am weitesten zurück liegt Mose.

Er spielt auch nur indirekt mit,

indem sich andere auf ihn beziehen.

Und Mose spielt auch nicht als Person mit,

sondern vielmehr die Gebote und Regeln,

die unter seinem Namen überliefert worden sind.

 

Ich habe nachgesehen:

Auf zwei Stellen konnten sich die Ankläger berufen.

Zum Einen 3. Mose 20,10 und zum Andern 5. Mose 22,22-24.

Dort steht es nicht wortwörtlich,

aber doch der Sache nach,

dass auf frischer Tat ertappte Ehebrecher sterben sollen.

Das betrifft aber bemerkenswerterweise beide Ehebrecher,

Mann und Frau,

während hier nur die Frau beschuldigt wird.

 

Das alte Recht war, so würden wir aus heutiger Sicht sagen,

unmenschlich und unchristlich.

Wenn wir es mit Mose identifizieren,

dann können wir zu seiner Verteidigung nur sagen,

dass das alte Strafrecht immer noch menschlicher war als Rechtsordnungen

anderer Völker der damaligen Zeit.

 

Auf Ehebruch stand auch bei den Germanen

der Tod und Schändung

und in manchen islamischen Ländern kommt bis heute

nach der Scharia die Steinigung bei Ehebruch vor.

Im Koran stehen 100 Geißelhiebe auf Ehebruch,

in etlichen muslimischen Ländern ist er heute aber auch straffrei.

 

Doch zurück zu Mose.

Wir halten ihn in Ehren,

dort unten steht er ja auch mitten in unserer Kirche

mit den Tafeln der Gebote.

Dass wir Mose heute in Ehren halten,

die Regeln für das Zusammenleben aber eben christlich interpretieren,

dafür hat Gott selbst gesorgt durch das,

was Jesus gelebt und gepredigt hat.

Unter anderem durch Geschichten wie die heutige.

 

Mose ist am Ende der Geschichte

sozusagen einer wie unser Mose dort unten,

der seine Tafeln abstellt

und sich seinerseits dem unterordnet,

was Jesus tut.

Im Handeln Jesu geht es nicht um Formalia,

sondern um das Herz der Menschen.

 

 Die Ankläger

 

Wenn wir uns nun denen zuwenden, die in der Geschichte

eine aktive Rolle spielen,

dann sind die ersten die Ankläger.

Sie haben die Frau auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt.

Die Sachlage, was die Vergangenheit betrifft,

ist klar: Sie ist eine Sünderin.

 

Versetzen wir uns einmal hinein in diese Ankläger.

Können wir das?

Steine werfen?

Ich denke schon!

Meistens nehmen wir nicht Steine vom Boden in die Hand.

(Das gibt es in Deutschland nur um G8 herum).

Aber Worte haben wir doch, die wie Steine sind,

oder Gedanken!

Wem ist es nicht schon so gegangen,

dass er andere auf frischer Tat ertappt hat?

Oder wenigstens von glaubwürdigen Zeugen erfahren hat,

dass der oder die etwas auf dem Kerbholz hat?

 

Was tun wir dann?

Prüfen wir uns mal,

ob es uns nicht geht wie diesen Anklägern,

dass wir rein destruktiv werden,

nur Strafe fordern und Vernichtung

ohne eine Perspektive, wie es weitergehen soll?

 

Nebenbei versuchen diese Ankläger auch noch,

Jesus, dem Anwalt der Schwachen, eine Falle zu stellen.

 

Würde Jesus jetzt etwas anderes sagen als das,

was der Wortlaut bei Mose war,

dann wäre er ein Gesetzesbrecher.

 

Jesus reagiert zuerst wortlos.

Er schreibt mit dem Finger auf die Erde.

Was er schrieb, steht nicht da

und so müssen wir es wohl auch nicht wissen.

Jedenfalls erhalten die Ankläger nicht die erhoffte Antwort.

 

Und dann erwischt er sie an einer viel tieferen Stelle.

Jesus sprengt die Front

und bittet den einen einzelnen herbei,

der ohne Sünde ist.

Jetzt, wirf den ersten Stein!

 

Was hätten wir gemacht?

 

Jesus schrieb dann weiter.

Die Ankläger gehen ab, einer nach dem andern.

Wir können uns das überlegen,

ob wir mit weggegangen wären.

So weit zu den Anklägern.

 

 Jesus

 

Nun ist Jesus allein mit der Frau.

Jetzt können wir einmal versuchen,

uns auszudenken,

wie es Jesus in dieser Geschichte ging.

 

Die Geschichte dieser Frau hatte man ihm gesagt.

Auch Jesus hat Ehebruch nicht gutgeheißen

und scharfe Worte dazu gefunden.

Aber wenn ich einmal wage,

mir vorzustellen, was in Jesus in dieser Szene vorgeht,

dann stelle ich mir vor,

dass er die Sünde der Frau zwar kannte,

aber ihr Herz sah.

 

Jesus unterschied

zwischen dem Menschen, der bei ihm stand

und der Tat, die er sich zuschulden kommen ließ.

Das hatten die Ankläger nicht getan.

Sie wollten den Menschen töten,

da war kein Raum für Verstehen,

für Einsicht und Reue oder Umkehr.

Sie wollten wegen der geschehen Tat

dem ganzen Leben dieser Frau ein Ende setzen.

 

Jesus aber sah den Menschen in dieser Ehebrecherin.

Das Thema seiner Zuwendung ist zunächst einfach sie selbst,

nicht das, was sie getan hat.

So hat es Jesus auch sonst gemacht,

das war überhaupt seine Sendung.

 

„Also hat Gott die Welt geliebt,

dass er seinen eingeborenen Sohn gab,“

hören wir in Johannes 3,16.

Gemeint ist, dass Gott die Menschen der Welt liebt,

obwohl sie ihn gehasst haben

und viele dem Glauben davongelaufen sind.

 

Die Liebe Gottes zeichnet sich dadurch aus,

dass sie rettende Absicht hat,

dass sie den Menschen als ein liebenswertes Geschöpf Gottes sieht,

das bleibt diese Frau auch,

unabhängig von ihren Taten.

 

Jesus praktiziert die Unterscheidung zwischen

dem Menschen und seiner Tat.

Die Tat war Sünde und machte die Frau zur Sünderin

(in Klammer bemerkt: den ehebrecherischen Mann

natürlich auch).

Jesus hieß die Sünde nicht gut. An keiner Stelle.

Aber Jesus unterscheidet die Tat von der Frau selbst.

Die Tat kann vergeben werden,

die Frau kann weiter leben und sie kann es so tun,

dass die Sünde nicht bei ihr bleibt.

Deshalb sagt Jesus am Ende:

„Ich verdamme dich nicht;

geh hin und sündige hinfort nicht mehr!“

 

Ich denke, dass wir uns ruhig immer wieder so in Jesus hineinversetzen sollten,

wenn es um Rechtsfälle in unserem Alltag geht.

Wie würde Jesus die Menschen sehen,

die uns Mühe machen?

Die, die uns Unrecht getan haben?

Welche Möglichkeiten würde es geben für sie,

wenn sie ihre Taten bereuen

und neu anfangen würden?

 

Auch für unsere Richter, die Justiz in Deutschland

sind das Gedanken, die sich nahelegen.

Mir ist aufgefallen,

dass unser Rechtssystem durchaus christliche Züge hat –

vielleicht in Manchem sogar direkt auf Jesus zurückgeht.

Dazu weiß ich leider zu wenig von der Rechtsgeschichte.

Aber zwei Dinge fallen mir auf,

wo unser Recht an das Handeln Jesu anschließt:

 

Zum Ersten gibt es auch in unserem Recht wie bei Jesus

die Unterscheidung von Person und Tat.

Auch ein Übeltäter verliert bei uns nicht seine Personwürde.

Die Todesstrafe ist abgeschafft,

Folter ist verboten, die Meinungs- und Glaubensfreiheit

gilt überall, auch in den Gefängnissen.

Wo es Strafe gibt, richtet sie sich gegen die Tat

und so weit es nur geht nicht gegen die Person.

Keiner darf wegen Persönlichkeitsmerkmalen gerichtet werden,

wegen Rasse, Geschlecht oder Meinungen,

sondern nur auf Grund seiner Taten.

 

Zum Zweiten sehe ich eine Parallele darin,

dass unsere Justiz wie Jesus

darauf aus ist, dass Opfer und Täter möglichst gut

weiter leben können.

Wo es Strafe gibt,

da ist deren erstes Ziel,

dem Täter zu ermöglichen, wieder frei zu leben.

Wo Wiedergutmachung möglich ist,

soll diese geleistet werden,

damit Täter und Opfer zusammenkommen.

Wo eine Gefängnisstrafe nötig ist,

da zielt diese auf Reue, auf Besserung und Ausbildung

und die Möglichkeit, dass Täter leben können

ohne weiter zu sündigen.

Nicht immer klappt das in der Praxis

und das sorgt dann für Diskussionen, leider.

Wie schön wäre es,

wenn wir eben Klarheit darüber hätten,

wie ernst Reue ist bei denen,

die einen neuen Anfang machen wollen.

und hinfort nicht mehr sündigen.

 

Die erwähnten Parallelen zu unserem Recht sind mir wichtig,

weil diese Geschichte von der Ehebrecherin

manchmal zu der Behauptung missbraucht wird,

dass man als Christ nicht über die Taten anderer

kritisch richten dürfe.

Aber Jesus heißt nicht die Sünde gut,

sondern benennt das, was die Frau getan hat,

als Sünde, wenn er sagt,

dass sie hinfort nicht mehr sündigen soll.

 

Diese Begebenheit hebt Recht und Gesetz nicht auf,

sondern füllt sie mit Liebe.

Jesus muss gesehen haben,

dass diese Frau ihre Sünde einsah,

als er ihr in die Augen blickte.

Und er traute ihr zu,

dass sie frei von dieser Sünde leben kann.

 

 Die Sünderin

 

Nun haben wir uns Mose schon zugewandt,

wir haben überlegt, wie wir uns die Rolle der Ankläger manchmal anziehen,

wir haben versucht, die Angelegenheit

mit den Augen Jesu zu sehen

und jetzt möchte ich Sie bitten,

dass Sie sich versuchsweise auch noch mit der Sünderin identifizieren.

 

Vielleicht sitzen Ehebrecher oder Ehebrecherinnen hier,

die das mal waren.

Vielleicht sitzen Lügner und Lügnerinnen hier,

oder Lebenszerstörer und Lebenszerstörerinnen,

Gottlose und andere Sünder mehr.

Mit Sicherheit steht einer hier,

der sich schon verführen ließ,

der die Macht der Sünde gespürt hat

und froh ist, wenn nach einem Fehler

und jeder Abkehr von Gott ein neuer Anfang möglich ist.

 

Wahrscheinlich gibt es keinen von uns,

der nicht weiß,

wie das ist, wenn man ertappt wird.

Als solch eine Ertappte wird uns die Ehebrecherin in diesem Bericht vorgeführt.

Sie hat nichts zu entgegnen.

Passiert ist passiert. Es gab Zeugen.

Nach hinten ist der Weg zu, nichts mehr zu ändern.

 

Und nun sind da Leute,

die ziehen daraus die Konsequenz,

dass auch der Weg nach vorn zu sein soll.

Steinigung und Ende.

 

Die Frau, so stelle ich es mir vor,

spürt sofort, dass das bei Jesus anders ist.

Er fängt bei ihr nicht mit der Sünde an,

sondern bei ihrem inneren Selbstwert.

Sie wird gefragt.

Und sie darf sich überlegen: Bin ich verdammt?

Nein!

Niemand hat mich verdammt.

 

Umgekehrt, positiv gesprochen:

Jetzt stehe ich da,

die Ankläger sind weg.

Ich bin angenommen. Da liebt mich einer.

Ich bin eine geliebte Sünderin.

 

Dass die Frau Mist gebaut hat,

das ist unausgesprochen klar.

Dieser Jesus aber hält sich nicht auf mit nachkarten,

sondern spürt die Reue und die Sehnsucht dieser Frau

und macht ihr Mut, wieder neu anzufangen.

Sie kann sich sagen:

Ich will stark sein, nicht mehr lügen,

frei sein von der Sünde.

 

Liebe Gemeinde,

ich wünsche uns eine Gemeinde von Ehebrecherinnen und Ehebrechern,

die keine mehr sind und nie mehr welche werden wollen.

Ich wünsche uns eine Gemeinde von Lügnerinnen und Lügnern,

die aus der Begegnung mit Jesus heraus nicht mehr lügen wollen.

Ich wünsche mir eine Gemeinde von Sündern,

die die Vergebung Gottes kennen gelernt

und die Liebe Gottes erlebt haben.

 

Wenn wir von dieser Liebe her leben,

dann werfen wir auf andere nicht Steine,

sondern beschenken sie mit der Liebe Gottes.

Das wollen wir ja auch heute machen:

Menschen einladen mitzufeiern.

Egal, was sie waren!

 

Jeder soll beim Kirchturmfest kommen können

und, wenn es gut geht,

von Jesus beschenkt wieder gehen

mit Einsicht im Herzen

und mit dem Zuspruch:

„Ich verdamme dich nicht;

geh hin und sündige hinfort nicht mehr!“

In diesem Sinne wünsche ich uns ein frohes Fest.

Amen. 

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