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Predigt zum Sonntag Reminiszere
Reihe I
Johannes 17,9-19 Aus dem Gebet Jesu für seine Jünger
Thema:  Am (Sonn-)Tag danach

Predigt von Pfarrer z.A. Gunther Seibold, Urbach
gehalten am 27.04.2003 in Welzheim   
 

Liebe Gemeinde in Welzheim,

vielleicht kennen Sie das auch: gestern ist es passiert, sie haben vielleicht noch gesagt: „da will ich eine Nacht drüber schlafen“ - oder auch nicht. Und jetzt ist der Tag danach. Die Entscheidung ist nicht gestern gefallen, sie fällt heute, am Tag danach. Gestern erlebt, und heute wird entschieden.

So hat die Kirche durch jahrhundertelange Erfahrung auch das Kirchenjahr organisiert: Da war Ostern passiert, die Auferstehungsfeier erlebt und heute, am Sonntag danach, da wird entschieden: Was hat sich geändert? Was hat sich durch das Geschehen um Jesus bei mir verändert?

Im liturgischen Kalender heißt dieser Sonntag „Quasimodogeniti“ = „Sozusagen wie die Neugeborenen“. Es geht auf Deutsch um die Neugeburt.

Wenn wir Christen von Neugeburt oder Wiedergeburt reden, dann ist das oft missverstanden worden: • Es geht dabei nicht um eine erneute Geburt, nicht um eine zweite Geburt, sondern um ein neues Leben im alten Leben bzw. über das alte Leben hinaus. • Es geht also nicht um Seelenwanderung, wie im Hinduismus.

Das neue Leben ersetzt nicht das alte, sondern kommt hinzu und weist über das irdische Leben hinaus. Man könnte sagen, das vorhandene Leben bekommt eine völlig neue Qualität.

Ich möchte versuchen, das mit einem Beispiel zu veranschaulichen: Da lebt eine Frau, eine Afrikanerin, in ihrem Dorf in der Savanne. Sie hat ein Geschwüre, Flecken und Schmerzen und alle sagen ihr, dass diese Krankheit tödlich sei. Sie hat keine Zukunft in ihrem Leben. Sie geht davon aus, dass sie sterben muss, bevor sie heiraten kann und an Kinder sei gar nicht zu denken!

Und dann kommt in dieses Dorf eines Tages eine mobile medizinische Station. Mit letztem Mut schleppt sie sich zu dieser Ambulanz und der Arzt sagt ihr: Deine Krankheit wird geheilt werden! Das Medikament ist vor einiger Zeit erfunden worden. Andere Menschen sind völlig gesund geworden. Du wirst völlig gesund sein!

Dieser Moment wird für diese Frau wie eine neue Geburt. Mit einem Mal sind ihre Perspektiven völlig verwandelt. Schon jetzt strahlen ihre Augen. Schon jetzt denkt sie an einen aufrechten Gang, an eine Familie, obwohl das Medikament erst noch bestellt und zu ihr ins Dorf gebracht werden muss. Die Botschaft von der Heilung, von der bevorstehenden Rettung macht ihre Lage völlig neu, obwohl sie sich rein äußerlich noch gar nicht geändert hat. Sie fühlt sich wie am Beginn eines neuen Lebens.

Damit möchte ich nun endlich den Bogen schlagen zum Johannesevangelium und zum heutigen Predigttext. Im Johannesevangelium wird an mehreren Stellen vermerkt, dass die Jünger Jesus nicht verstanden hätten, zum Beispiel auch das von der Wiedergeburt. Als Begründung wird dann gesagt: Die Jünger hätten nicht verstehen können, weil Jesus noch nicht verherrlicht gewesen sei.

Diese Verherrlichung war mit Ostern gekommen. Als Kreuz und Auferstehung geschahen, da gingen den Jüngern die Augen auf. Von da an lasen sie alle Jesusgeschichten mit anderen Augen. Jetzt erst, im österlichen Licht, verstanden sie die Worte,die er gesprochen hatte. In ihr Verständnis von Jesus und in ihr Leben kam eine völlig neue Qualität.

Unser Predigttext ist nun so einer, der ohne das Licht von Ostern völlig unverständlich bleibt. Viele schon haben beim Lesen und Hören das 17. Kapitel im Johannesevangelium für kryptisch erklärt.

Man hat es das „Hohepriesterliche Gebet“ genannt, weil es ein Fürbittgebet von höchster Stelle ist, in dem Jesus zum Vater betet für seine Jünger.

Es geht darin um den Unterschied, in der Welt zu sein und von der Welt zu sein. Und eben das hat mit der Neugeburt zu tun. Wer sich nur auf seine Geburt von Mutter und Vater bezieht, der ist von der Welt.

Wer sich aber dann, wenn er vom wahren Leben spricht, eben nicht nur auf die irdische Geburt, sondern viel umfassender auf Gott bezieht, auf das österliche Leben, das Gott gemacht hat, der ist im tieferen Sinne nicht von der Welt, sondern von Gott und als solcher freilich noch nicht im Himmel, sondern in der Welt. Er ist nicht nicht von der Welt, sondern in der Welt.

Hören Sie einfach einmal mit diesen Anklängen vorbereitet auf den Predigttext, die Verse 9-19 im 17. Kapitel bei Johannes: Christus betet zum Vater:  9 Ich bitte für sie und bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast; denn sie sind dein. 10 Und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen verherrlicht. 11 Ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, daß sie eins seien wie wir. 12 Solange ich bei ihnen war, erhielt ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, und ich habe sie bewahrt, und keiner von ihnen ist verloren außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt werde. 13 Nun aber komme ich zu dir und rede dies in der Welt, damit meine Freude in ihnen vollkommen sei. 14 Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehaßt; denn sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. 15 Ich bitte dich nicht, daß du sie aus der Welt nimmst, sondern daß du sie bewahrst vor dem Bösen. 16 Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. 17 Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. 18 Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. 19 Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.

Haben Sie es gehört: Die Hauptthese in diesen Worten, in diesem Abschnitt aus dem großen Gebet Jesu, ist die: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“

Ein Satz, wie er ohne Glauben schlechthin nicht gesagt werden kann. Ein Satz, wie er ohne den Glauben an ein umfassenderes Leben als das Irdische nicht gesagt werden kann. Ein Satz, wie er den Jüngern ohne die Erfahrung von Ostern unverständlich geblieben wäre.

Jetzt haben Sie es aber durch das Wunder von Ostern miterlebt: Die Auferstehung hat gezeigt, dass das Leben Jesu nicht von der Welt war.

Im Glauben ist die Begrenzung überwunden, die Leben nur auf die Spanne von der Geburt bis zum Tod bezieht. Der Glaube sieht tiefer, oder weiter – wenn man so will. Da ist ein Leben von ganz anderer Qualität, und diese Erkenntnis haben die Jünger immer wieder als Erfahrung der Neugeburt oder Wiedergeburt weitererzählt.

Wie die Frau vorhin in dem Beispiel sind auch gläubige Menschen zunächst zwar weiterhin in ihrer alten Welt. Aber mit der Botschaft vom Leben hat sich alles verwandelt. Da kommt ein neues Leben herein, das über die sicher geglaubten Begrenzungen hinausführt.

Noch ein anderes Beispiel dazu: Da erhält eine junge Frau einen Strauß überreicht vom Fleurop-Blumendienst. Sie hat den Strauß materiell gesehen von Fleurop erhalten. Aber dann ist da noch ein Brief dabei, und dort drin macht ihr Freund ihr einen Heiratsantrag. Der Strauß ist also eigentlich nicht von Fleurop, sondern vom geliebten Freund, noch dazu mit einer das Leben verändernden Botschaft.

So sind Jünger Jesu nicht von der Welt, sondern von Gott, durch die das Leben verändernde Botschaft von Ostern wie neu geboren.

Abschließend möchte ich die Verse des Predigttextes noch daraufhin befragen, wie das nun konkret mit uns in die kommenden Tage gehen kann. Wie können wir das neue Leben von Ostern leben, mitnehmen in unseren Alltag?

Dazu greife ich 3 Stichworte auf, die als Jesu Wort für uns, seine Jüngerinnen und Jünger, hier uns zugesagt werden Bewahrt – Gesandt – Nicht allein:

1. Bewahrt Jesus hat seine Jünger in der Zeit seines irdischen Lebens begleitet und geführt. Er hat sie bewahrt auf dem Weg mit ihm: Christus betet zum Vater: Solange ich bei ihnen war, erhielt ich sie in deinem Namen, ... und ich habe sie bewahrt. Jesu Anliegen ist nun, dass das auch so ist,  wenn er nicht leibhaftig bei seinen Jüngern sein kann. Dabei soll es bewusst so sein, dass gläubige Menschen in der schwierigen und oft bösen Welt bleiben. Denn dort haben sie ihre Aufgabe. Darum betet Christus zum Vater: Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen. Die ganz konkrete Hoffnung daraus, auch für die nächsten Tage, heißt: Was uns auch begegnen wird, Gott will uns bewahren und hindurchführen. Die Welt und ihre Mühe bleibt uns nicht erspart, aber die Bewahrung trägt uns. Das hat Ostern verbürgt.

2. Gesandt Dass die Jünger in der Welt bleiben, hat seinen Sinn: Sie werden dorthin gesandt, sie sollen Licht in der Welt sein, sie sollen Zeugen der Wahrheit sein können. Christus spricht:
Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.
Die ganz konkrete Sendung daraus, auch für die nächsten Tage, heißt: Gott will uns gebrauchen, Sendung heißt, dass da ein Ziel ist, und dass Veränderung möglich ist.

3. Nicht allein Sie sind dein!“ Jesus sagt: im Glauben gehört ihr zu Gott. Ihr seid nicht allein, denn ihr seid bei Gott. Und in Gott sind sie miteinander eins.

Die ganz konkrete Stärkung daraus, auch für die nächsten Tage, heißt: Gott ist bei uns, andere Menschen sind mit uns auf diesem Weg. Wir sind nicht allein, ob es die Schule ist, die wieder neu beginnt, ob es die Arbeit ist, ob es die alltägliche Hausarbeit oder Pflege oder was auch immer sei:

Diese unsichtbare Qualität des österlichen Lebens, dieses neue Leben, das geht mit uns.

Auch am Tag danach. Auch am Sonntag nach Ostern. Vielleicht sogar mit einem Gefühl wie neu geboren! Amen.

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