« Startseite Theologie

Predigt an Karfreitag
Hebräer 9,12-28
Thema:  Das Opfer für die Menschen 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 14.04.2006 in Hemmingen

 

Liebe Gemeinde am Karfreitag,

 

wenn man damals in den ersten Jahrzehnten unserer Zeitrechnung

mit einem Menschen über den Tag am Passafest sprach,

an den die Kreuzesgeschichte Jesu erinnert,

dann dachte man damals an den Tempel.

 

Der Tempel in Jerusalem war der Mittelpunkt des Festes.

Dort wurden die Lämmer geschlachtet,

deren Fleisch beim Mahl geteilt wurde.

Aus unserer Sicht ist das äußerst befremdlich,

macht das alles den Eindruck eines Schlachthofes.

Tiere kreischen, Blut fließt,

Menschen lärmen.

 

Zweierlei Opfer kannte man,

in denen das Opfertier die wesentliche Rolle spielte:

Das Opfer auf dem Brandopferaltar,

wo die besten Stücke für Gott in Rauch aufgehen sollten,

das Blut an den Altar gesprengt wurde,

und den Rest teilte man in der festlichen Runde auf.

 

Das andere Opfer ist das des großen Versöhnungstages,

in dem der Sündenbock die Hauptrolle spielt.

Symbolisch werden ihm die Sünden des Volkes aufgelegt

und dann wird er in die Wüste geschickt,

möglichst weit weg.

 

Diese Handlungen entsprachen so dem uralten Gesetz.

Die Menschen spürten,

dass Sünde Folgen hat.

Und im Opfer suchten sie Auswege für diese Folgen.

Blitzableiter sozusagen,

dass der Fluch der Sünde sie nicht traf.

 

Und die Menschen hofften,

dass sie diese Opfer recht machten,

dass Gott das gefalle,

und er ihnen Sünden vergebe.

 

Und seine letztendliche Vergeblichkeit zeigte sich darin,

dass das Volk immer wieder in Sünde fiel

und diese Opfer immer wieder wiederholt werden mussten.

 

   Jesus

 

In diese Welt und diesen Tempelkult kam nun Jesus.

Er predigte von der Liebe Gottes,

der die Verlorenen umarmt.

Er stellte sich nicht ausdrücklich gegen die alten Gesetze,

aber gegen den entarteten Tempelkult.

Er vertrieb die Händler,

er sprach davon, den Tempel abzureißen

und wieder aufzubauen. –

Und dafür starb er den Tod am Kreuz. Unschuldig.

 

Liebe Gemeinde,

wären wir heute die Hebräer von damals!

Wir würden sofort den Tod Jesu

im Zusammenhang der Opfer und des Tempels deuten.

 

Und wenn wir dann hörten,

dass Jesu gehorsamer Gang ans Kreuz

das Ende aller Opfer sei,

dann wäre uns klar:

Wenn der Fluch der Sünde zu tragen ist,

dann hat er selbst ihn getragen.

 

Wir würden wir uns daran erinnern,

dass Jesus davon gesprochen hatte,

dass er sein Leben als Sühnegeld für viele geben sollte (Mk.10,45).

 

Wir würden staunen und sagen:

Jesus hat am Kreuz den Fluch der Sünde abbekommen,

ist zum Blitzableiter geworden.

 

Wären wir solche Hebräer von damals,

dann wäre uns alles vertraut,

was der biblische Hebräerbrief vom Kreuz Christi verkündigt.

Da würde uns der ganzer Tempelbetrieb vor Augen erscheinen,

wenn wir von den Opfern hören

und da würde uns deutlich,

welcher Segen, welche Erleichterung darin liegt,

dass im Kreuz Jesu diese Opfer ein für alle mal erledigt sind.

Denn dass Gottes Sohn für die Sünde stirbt,

dass Gott selbst das Opfer bringt,

das verbietet jegliche weitere Opferergänzungen.

Was Gott getan hat,

das brauchen wir Menschen nicht besser zu machen.

Es gilt ein für alle mal.

 

   Textlesung

 

Ich lese uns nun einmal die Verse aus dem Hebräerbrief,

die heute Predigttext sind.

Kapitel 9, die Verse 15 und 27-28.

Ich nehme noch ein paar Verse mehr für den Zusammenhang dazu.

 

   Heb.9,12-15 und 24-28

 

Christus ist nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern,

sondern durch sein eigenes Blut ein für allemal in das Heiligtum eingegangen

und hat eine ewige Erlösung erworben.

Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche von der Kuh

durch Besprengung die Unreinen heiligt,

so dass sie äußerlich rein sind,

um wieviel mehr wird dann das Blut Christi,

der sich selbst als Opfer ohne Fehl

durch den ewigen Gott dargebracht hat,

unser Gewissen reinigen von den toten Werken,

zu dienen dem lebendigen Gott!

 

und weiter V.24:

 

Christus ist nicht eingegangen in das Heiligtum,

das mit Händen gemacht ist

und nur ein Abbild des wahren Heiligtums ist,

sondern in den Himmel selbst,

um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen,

auch nicht, um sich oftmals zu opfern,

wie der Hohepriester alle Jahre mit fremdem Blut

in das Heiligtum geht.

...

Nun, am Ende der Welt, ist Christus ein für allemal erschienen,

durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.

Und wie den Menschen bestimmt ist einmal zu sterben,

danach aber das Gericht;

so ist auch Christus einmal geopfert worden,

die Sünden vieler wegzunehmen;

zum zweitenmal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen,

sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

 

   Und wir?

 

Ja, wären wir Hebräer von damals,

wir würden die Erleichterung spüren,

die in diesen Worten steckt:

Erleichterung,

dass all die vergeblichen Opfer mit den Opfern

aufhören.

Auch dass damit die Opfer aufhörten,

die der Kult den Menschen abverlangte.

 

Und wären wir Menschen des Mittelalters,

wir würden die Erleichterung wohl immer noch spüren:

Die befreiende Botschaft,

dass kein Kult uns zu Opfern zwingen darf,

weil Gott den Opfern ein Ende gemacht hat.

Keine Kirche darf den Menschen mehr verkündigen,

dass Gott nach einem religiösen Leistungskatalog

besänftigt werden müsste.

 

Ja, wären wir von damals!

Sind wir aber nicht!

 

Hoffentlich lebt keiner unter uns

unter einem Opferzwang Gott gegenüber.

Als ob wir noch einen Opferkult hätten,

der mit einer Leistungspflicht Gott gegenüber begründet wird.

 

Was aber können wir dann anfangen

mit dem Verständnis des Todes Jesu als einem Opfer?

 

Warum war dieser grausame Tod,

bei dem das Blut floß,

der Weg Gottes?

Der Weg Gottes mit Jesus

und der Weg Jesu mit Gott?

 

Warum ging es nicht bargeldlos?

Ohne all den Aufwand?

Einfach durch ein Gnadenwort?

 

Ich muss eingestehen,

dass ich darauf keine erschöpfende Antwort habe.

In unserem modernen Sinn von verstehen

verstehe ich das nicht, was das heißt,

dass Jesus geopfert wurde, die Sünden vieler wegzunehmen,

vor allem im Blick auf die Frage,

warum es Gott gerade so gemacht hat.

 

Sie können heute oft hören,

man solle dieses ganze Opfer-Thema ablehnen

und aus der kirchlichen Verkündigung herauslassen.

Gott sei doch der liebe Gott.

In diesen Chor will ich freilich nicht einstimmen.

 

Dafür ist schon allein die Wolke der Zeugen zu mächtig,

die von Jesu eigenen Worten angefangen über Paulus

bis hin zu Luther und meinen theologischen Lehrern in Tübingen

den tiefen Sinn der Sühne für die Sünden verkündigt haben.

Bei denen, die versuchten,

das Opfer Christi mit Ehrfurcht anzunehmen,

diese Tiefe des Kreuzestodes Jesu nicht verschweigen,

da hatte ich den Eindruck,

dass auch die Gnade Gottes viel mächtiger leuchtete.

 

Unsere Rede von Gott wird flach und langweiliger,

wenn wir sagen würden,

dass Gott halt der liebe Gott ist,

der sagt: Ist schon gut.

Ein „bargeldloser“ Gott tendiert dazu, ein lebloser Gott zu werden.

 

Die biblische Botschaft ist dagegen lebensvoll,

realitätsgebunden

und dann eben auch mitten in den harten Realitäten.

In ein paar Punkten will ich versuchen

Verstehensmöglichkeiten anzudeuten für die Botschaft,

dass Christus am Kreuz das Opfer für unsere Sünde gebracht hat.

 

Es sind 5 Punkte.

1. Das Opfer ist Garant für ein wirkliches Geschehen

2. Das Opfer vertieft die Liebe

3. Das Opfer nimmt die Folgen der Sünde ernst

4. Das Opferblut rettet Leben

5. Zusammenfassend: Das Opfer ist für die Menschen

 

   1. Es ist wirklich geschehen

 

Eine erste Stärke hat das Opfer Jesu Christi darin,

dass es wirklich geschehen ist.

Im Zentrum unseres Glaubens steht nicht ein abgehobener Gedanke,

sondern ein zutiefst fleischgewordener Mensch

mit allen Konsequenzen bis hin zu Leid und Tod.

 

Man mag es theoretisch für unnötig halten,

aber praktisch hat das eben doch eine große Bedeutung.

Gott ist ein Gott, der uns Menschen darin gerecht wird,

dass er in unserer Welt handelt.

Nehmen wir unsere Sakramente als Beispiel:

Dass wir in der Taufe wirklich Wasser nehmen,

das macht das auch spürbar,

was uns Gott zusagt.

Oder dass wir im Abendmahl wirklich essen und trinken,

das macht schon in der symbolischen Gestalt

mit einem Bissen und einem Schluck

viel konkreter, dass Gott uns etwas gibt.

 

Dass Jesus sich wirklich damals etwa im Jahre 30

an die Welt dahingegeben hat,

das ist genauso konkret für den Glauben

wie das, dass wir nachher zusammen Brot und Wein nehmen.

Es dient dem Glauben, dass da etwas wirklich passiert ist,

auch wenn wir es nicht in der Tiefe verstehen.

 

   2. Das Opfer vertieft die Liebe

 

Gehen wir noch einen Schritt weiter.

Man hört immer wieder,

ein Opfertod würde nicht zur Botschaft von der Liebe Gottes passen.

Ich möchte aber sagen:

2. Das Opfer vertieft die Liebe.

 

Gerade die Liebe, die sich aufopfert,

wird von uns Menschen als besonders tiefe

und wertvolle Liebe erlebt.

 

Stellen Sie sich vor,

ein Liebhaber würde ihnen täglich Briefe schreiben

mit der Botschaft,

dass er Sie liebt, dass Sie prima sind

und dass er alles für Sie tut.

Er würde immer nur diese Briefe schreiben.

 

Und dann wäre da ein zweiter,

der würde Blumen schicken,

ja, er würde sogar selbst vorbeikommen.

Er würde sehen, was Sie gerade brauchen

und würde seinen Mantel ablegen

und Hand anlegen.

Welchem Liebhaber würden Sie die Liebe glauben?

 

Dass Liebe und Opfer eben doch zusammenpassen,

vielleicht sogar zusammengehören müssen,

das höre ich von lebenserfahrenen Menschen unter uns immer wieder.

 

Gerade die schweren und harten Phasen im Leben

haben beispielsweise Ehepaare zusammengeschweißt.

Als es einem dreckig ging und der andere sich aufopferungsvoll

um ihn kümmerte, da entstand eine Nähe,

die es sonst nicht gegeben hätte.

 

So kann uns auch kein Gott näher kommen als Jesus Christus.

Nämlich darin,

dass er sich aufopfert für die Menschen.

Das Opfer verträgt sich mit dem lieben Gott!

Das ist keine Schwäche, sondern seine Stärke.

 

   3. Das Opfer nimmt die Folgen der Sünde ernst

 

Zum dritten Punkt:

Das Opfer nimmt die Folgen der Sünde ernst

 

Wer für die Zusammenhänge aufmerksam ist,

wird es erleben: Sünde hat Folgen.

Sünde ist die Abwendung des Menschen von Gott

und die hat Folgen.

Das erleben wir auf der zwischenmenschlichen Ebene,

wenn die Gebote Gottes von der Liebe

und vom Schutz des Lebens mit Füßen getreten werden.

Das erleben wir auch direkt im Verhältnis zu Gott.

Wenn wir geistlich leben,

dann spüren wir,

dass dann, wenn wir unser Herz an etwas anderes hängen als Gott,

dass uns dann das Beten schwer fällt und das Vertrauen.

 

Gerade an diesem Punkt ist die Botschaft,

dass Jesus unsere Sünde getragen hat,

wirklich befreiend.

Die Folgen, die meine Sünde vor Gott hat, trägt Jesus!

Gott nimmt die Realität der Sünde ernst

und tut sie nicht leichtfertig ab.

Eine Stärke des Todes Jesu am Kreuz ist,

dass er die Folgen der Sünde nicht verneint,

was realitätsfremd wäre,

sondern trägt.

 

Das hat unmittelbare Folgen für Menschen heute.

Diese Botschaft vom Kreuz kann

Trost geben auch für Leiden in unseren Tagen:

Der liebe Gott droht am fernen Himmel zu verblassen,

wenn wir im Leiden stecken.

 

Das Leiden Jesu für uns

macht aber deutlich,

dass Gott nicht über das Leiden hinweg geht.

Er ist seit Christi Tod am Kreuz definitiv einer,

der auch Leidenswege mitgeht.

Keiner kann behaupten: Du leidest, also ist Gott nicht bei dir.

Denn er hat selbst gelitten.

 

Die Sünde hat vernichtende Kraft.

Paulus spricht vom Fluch der Sünde.

Und dann eben davon,

dass Jesus diesen Fluch der Sünde auf sich genommen hat.

Dem Tod ist die vernichtende Macht genommen.

Die Folgen der Sünde sind nicht übergangen, sondern getragen.

Wir können von Gnade, von Freiheit und vom Leben verkündigen

 

   4. Blut rettet Leben

 

Das Opfer dient also, auch wenn es überraschend ist,

dem Leben.

Das ist mein 4. Punkt:

Das Opferblut rettet Leben.

 

Interessanterweise hängt mitten in Hemmingen

dieser Tage ein Transparent,

das genau diesen Zusammenhang plakatiert.

 

Oben an der Kreuzung Hauptstraße, Seestraße, Eisgasse

hat das DRK ein Banner aufgehängt mit der Aufschrift

„Blut geben rettet Leben“.

 

Auch da,

in diesem zwischenmenschlichen notfallmedizinischen Bereich

geht es so,

dass sich Liebe nicht einfach in freundlichem Lächeln,

sondern in Opferbereitschaft verwirklicht.

Das Blut ist Symbol des Lebens.

Bei der Blutspende gebe ich ein Stück meines Lebens

für das Leben eines anderen.

 

Auch Frauen denken daran immer wieder,

wenn sie ihre Monatsblutungen haben,

die im Zusammenhang mit den Funktionen stehen,

die Leben erst möglich machen.

 

Im Blut Jesu Christi, das am Kreuz fließt,

steckt dieses Symbol auch drin.

Leben Gottes.

Zu verstehen ist mir das zu groß.

Aber in die Anbetung führt es mich hinein.

 

   5. Zusammenfassend: Das Opfer ist für die Menschen

 

Zusammenfassend möchte ich sagen:

Fünftens: Das Opfer ist für die Menschen

 

Indem im Tod Jesu Christi Gott selbst Opfer bringt,

ja Opfer wird,

wird deutlich, dass das Opfer nicht für Gott gebracht wird.

Dieses Verständnis der Opfer im Tempel

scheidet aus.

Jesus stirbt nicht, damit Gott sich freuen kann,

sondern weil er leidet an dem Schicksal der Welt und der Menschen.

Nicht um Gottes willen stirbt Jesus,

sondern um der Menschen willen.

 

Gott will sich nicht freuen,

während Menschen leiden.

Er will die Menschen erlösen

und sich mit ihnen freuen.

Dafür tut er alles.

Auch wenn es durch Leiden führt.

Und indem Gott es tut, ist es ein für alle Mal genug.

 

   Schluss

 

Es gibt also nicht nur für die Hebräer,

sondern auch für uns Verstehensmöglichkeiten

für dieses an sich grausame,

aber umso echtere Geschehen am Karfreitag damals.

 

Dabei bleiben wir heute an Karfreitag stehen.

Es macht unser Glauben auch echter,

wenn wir die Härte dieses Todes aushalten

bis Ostern.

 

Der Hebräerbrief blickt noch etwas darüber hinaus.

Er steht natürlich auch auf dem Boden der Osterbotschaft.

Und er blickt am Ende darauf hinaus,

dass Christus wieder erscheint in Herrlichkeit,

wenn das angefangene Heil in Vollendung erscheint.

 

Amen. 

 

Zum Seitenanfang