« Startseite Theologie

Predigt am Sonntag Reminiscere
Hebräer 11,1-3.8-10
Thema: Glaube und Glauben 

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 17.02.2008 in Hemmingen

 

Liebe Gemeinde,

ich erinnere mich gut, wie ich vor vielen Jahren,

mir ein theologisches Buch besorgte,

als ich noch gar nicht begonnen hatte Theologie zu studieren.

Es ging darin um Jesus

und der Autor war der früher bekannte Professor Adolf Schlatter.

 

Der Titel hieß: Der Glaube im Neuen Testament.

Beim Lesen ist mir aufgefallen,

dass Schlatter oft merkwürdig „das Glauben“ schrieb,

wo wir normalerweise „der Glaube“ sagen.

Irgendwo hat er es dann erklärt:

Für Jesus war „das Glaube“ entscheidend.

Und für mich war das auch ein kleines theologisches Erlebnis,

dass ich bei der Gelegenheit den Unterschied lernte

zwischen Glaube und Glauben,

oder besser gesagt, ich begriff,

dass Glauben eine vielschichtige Sache ist.

Der Glaube hält unsichtbare Dinge für wahr,

darf aber nicht reduziert werden auf das Für-Wahr-Halten

bestimmter unsichtbarer Dinge.

 

„Das Glauben“ betont,

dass Glauben nicht ein statischer Zustand ist,

nicht nur etwas, was ich habe,

sondern ein Geschehen.

In der neueren evangelischen Theologie

wird Glauben immer primär als Vertrauen beschrieben.

Glauben heißt Vertrauen,

sich verlassen auf jemand,

hoffen auf jemand, auf Gott.

 

Die Lateiner im Mittelalter haben daraus ein Wortspiel gemacht

und denen, die vielleicht Latein können,

möchte ich es nicht vorenthalten.

Glauben heißt lateinisch fides.

Und die alten Dogmatiker unterschieden zwischen

der fides quae und der fides qua.

Die fides quae ist der Glaube,

der geglaubt wird,

also der Glaubensinhalt, an den geglaubt wird.

 

Die fides qua ist dagegen

der Glaube, durch den geglaubt wird,

also der Vorgang des Glaubens

als Vertrauen auf den, der Inhalt der Glaubenswahrheit ist.

 

Damit genug der Fremdsprachen.

Wir finden beides auch in der Umgangssprache.

Am öftesten reden wir im Alltag, denke ich,

von glauben in dem Sinn,

dass wir etwas nicht sicher wissen.

„Ich glaube, dass heute Mittag die Sonne scheint“ ist zum Beispiel typisch

und meint: Ich schätze etwas so und so ein,

ich halte das Wetter inhaltlich für sonnig.

Es geht um das Wissen und Recht haben,

am Ergebnis wird dann gemessen.

Glauben ist hier eher negativ besetzt,

weil es weniger ist als Wissen,

weniger als Sicherheit.

 

Eine zweite Redeform, die heute noch vorkommt,

ist aber auch die:

„Ich glaube an den Sieg im Spiel gegen die Rutesheimer.“

Das bedeutet:

„Man kann nicht wissen wie es ausgeht,

aber ich verlasse mich voll darauf, dass wir gewinnen.

Ich gehe jetzt schon davon aus.“

Hier ist der Glaube mehr als Wissen,

er ist viel stärker und viel ganzheitlicher.

Hier passt es besser, das Glauben zu sagen,

weil dann zum Ausdruck kommt, dass es ein Vorgang ist,

und dass viel Vertrauen und Dynamik drin steckt.

 

Sicher wundert es Sie nicht,

wenn ich jetzt verrate,

dass es heute im Predigttext um Glauben geht.

Und jetzt können Sie gespannt sein,

welches Glauben dort vorkommt im Hebräerbrief.

Ich verrate Ihnen schon mal, dass es nicht so ganz eindeutig ist.

Geht es um den Glauben als Glauben an bestimmte Inhalte

oder geht es um das Glauben im Sinne von Vertrauen?

 

Hören Sie einfach mal zu,

wenn ich jetzt aus dem Hebräerbrief lese in Kap.11,

zunächst die Verse 1 bis 3 und dann noch 8 bis 10.

 

Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. 2 Durch diesen Glauben haben die Vorfahren Gottes Zeugnis empfangen. 3 Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, sodass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist.

[…] 8 Durch den Glauben wurde "Abraham" gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. 9 Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. 10 Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. 11 Durch den Glauben empfing auch "Sara," die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte.

 

Nun, wie ist es Ihnen gegangen?

Am Anfang hören wir hier eine Definition:

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

Danach kommt ein Beispiel,

konkret Abraham und Sara.

 

Ich denke, es ist einfacher, mit dem Beispiel anzufangen.

 

   Beispiel Abraham, Teil 1: Auszug.

 

Ich gehe es in Abschnitten noch einmal durch:

„Durch den Glauben wurde "Abraham" gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.“

Was würden Sie da sagen:

Glaube als Für-Wahr-Halten oder Glauben als Vertrauen?

 

Geht es für Abraham darum, wer Gott ist, welche Eigenschaften er hat?

Oder geht es für Abraham darum, sich Gott anzuvertrauen?

 

Ich fand das Beispiel sehr treffend für unseren Zusammenhang,

weil es selbst den Zusammenhang zum Wissen enthält.

Glauben ist hier stärker als das Nicht-Wissen:

„Abraham zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.“

 

Nach dem, was meine einleitenden Gedanken waren,

ist es also ganz eindeutig, dass dieses Beispiel bei Abraham

besser nicht der Glaube, sondern das Glauben genannt wird.

Die ganzen Wissensfragen um Gott,

die ein Glaubensbekenntnis ausmachen,

spielen keine Rolle.

Ob es nur einen Gott gibt, ob er der Schöpfer ist,

wie Gott rettet und viele andere Fragen stellen sich hier nicht.

Abraham glaubt, weil er seinem Gott vertraut.

Das macht ihm Mut,

das bringt ihn in Bewegung,

das macht ihn gewiss, dass er das Ziel erreicht,

an dem er mit diesem Gott ankommen wird.

 

   Beispiel Abraham, Teil 2: Wartender

 

Im zweiten Satz zu Abraham erinnert der Hebräerbrief daran,

dass Abraham bei der Ankunft im gelobten Land

ein einfacher Hirte mit Zelten war.

Von eigenen Städten konnte da keine Rede sein.

Burgen und Tempel hatten die andern,

die bisher schon dort wohnten im Lande.

 

Und trotzdem war da die Verheißung,

dass dieses Land einmal dem Volk gehören sollte,

das aus Abrahams Nachkommenschaft entstehen sollte.

Vers 10 sagt:

„Er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat,

deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“

Gedacht ist dabei vom Hebräerbrief aus an Jerusalem,

die Stadt mit dem Tempel Gottes in ihrer Mitte.

 

Auch hier geht es,

wie wir nicht lange diskutieren müssen,

um das Glauben als Vertrauen.

Denn es geht um Glauben gegen den Augenschein.

Wie wenn eine Mannschaft schon 2:0 zurück liegt

und trotzdem an den Sieg glaubt.

Oder wie wenn ein Leben in der Krise ist

und ein Christ trotzdem an Gottes Wege glaubt

und dass es am Ende gut werden wird.

 

Das zugehörige Stichwort für dieses glaubende Vertrauen

auf die Zukunft ist hier und auch sonst in der Bibel „Verheißung“.

Der Verheißung glauben bedeutet,

eine Zukunft zu haben, auch wenn wir sie noch nicht wissen können.

 

Glauben richtet sich nicht nur auf das, was ist – das auch,

sondern auch auf das, was kommt.

Die Verheißung ist hier für den Glauben zentral

und es wird erwähnt,

dass die Söhne Abrahams,

Isaak und Jakob, Miterben der Verheißung geworden sind.

Bis heute werden wir,

wenn wir zum Glauben kommen,

Miterben der Verheißung Gottes.

Das bedeutet,

dass wir in das Vertrauen und die Hoffnung

der Glaubenden mit hinein genommen werden.

 

Wir stehen unter der Verheißung wie Abraham.

Keiner muss allein glauben

und allein vertrauen.

Glauben ist auch ein Geschehen in der Verbindung

und Gemeinschaft des Volkes Gottes.

 

   Beispiel Abraham, Teil 3: Sara

 

Der dritte Teil, mit dem sich der Hebräerbrief

hier auf Abraham beruft,

betrifft die Verheißung der Nachkommenschaft.

Das ist, denke ich,

die bekannteste Verheißung für Abraham.

 

Mir ist das Bild unvergessen,

wie in meiner Kinderbibel Abraham unter dem Sternenhimmel steht

und Gott lässt ihn nach oben blicken

und verheißt ihm,

dass er noch mehr Nachkommen haben wird als die unzählbaren Sterne sind.

Erst kürzlich im Urlaub

hatte ich einmal wieder Gelegenheit,

außerhalb unseres Ballungsraumes und seiner Dunst- und Lichtglocke

so richtig viele Sterne am klaren Himmel zu sehen.

Manchmal denke ich da an Abraham.

 

Zum Glauben Abrahams gehört auch seine Frau,

Sara.

Der Hebräerbrief verbindet das Erstaunliche,

dass Sara und Abraham noch im hohen Alter einen Sohn bekommen

mit ihrem Glauben:

Es heißt:

„Durch den Glauben empfing auch Sara,

die unfruchtbar war,

Kraft, Nachkommen hervorzubringen, trotz ihres Alters;

denn sie hielt den für treu,

der es verheißen hatte.“

 

Glauben bedeutet für unseren Predigttext selbstverständlich,

dass er Kraft hat.

Kraft kommt aus dem Glauben.

Hier geht es nicht um den zweifelnden Glauben,

der Kraft braucht,

sondern um das Glauben, das Kraft hat.

 

Wir haben nicht immer solches Glauben,

oft genug geht es mit dem Vertrauen nicht so recht vorwärts.

Aber da können wir uns Mut machen damit,

dass auch das Glauben selbst Verheißung hat,

nämlich die, dass Glauben Kraft empfängt von Gott,

die sich in einem Leben auswirkt.

 

   Definition V.1

 

Kehren wir damit zurück zur Definition des Hebräerbriefs

in Vers 1.

Was ist Glaube?

Hebräer 11, Vers 1 sagt:

„Es ist der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft,

und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

 

Der Glaube oder das Glauben?

Hier denke ich, dass wohl beides mit drinsteckt.

Letztlich ist Glauben immer beides.

 

Der Glaube als Für-Wahr-Halten könnte das sein,

was gemeint ist

mit dem Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

Hier sind die Glaubensinhalte mit im Blick,

das, woran man glaubt, obwohl man es nicht sieht.

 

Auch in der ersten Zeile stehen im Urtext nur Substantive.

Luther übersetzte:
„der Glaube ist eine Zuversicht auf das, was man hofft“,

in meinem Griechisch-Lexikon steht:

„der Glaube ist eine Verwirklichung des Erhofften“.

 

Beide Worte, Glauben als Zuversicht

und Glauben als Verwirklichung des Erhofften,

empfinde ich so,

dass dabei mehr an das Glauben zu denken ist

als an den Glauben.

Beide Worte meinen nicht die Glaubensinhalte,

sondern unsere Beziehung zu den Glaubensinhalten,

zu dem Gott, den wir nicht sehen

und zu der Verheißung Gottes, auf die wir hoffen.

Und Glauben als Beziehungswort

ist Vertrauen.

 

   Kontroverstheologische ökumenische Bemerkung

 

Weil wir gerade die Wochen des ökumenischen Glaubensseminars haben,

möchte ich noch bemerken,

dass wir an dieser Stelle je nach Konfession unterschiedliche Deutungen finden.

Wörtlich steht im Griechischen Urtext hier,

der Glaube sei eine hypostasis des Gehofften.

 

Nun neigt die evangelische Theologie dazu,

Glauben als Akt, als Vertrauen zu verstehen –

so wie ich jetzt gepredigt habe.

und Luther übersetzt mit „Zuversicht“, manche auch mit „Mut“.

Die katholische Einheitsübersetzung übersetzt aber hypostasis mit „Feststehen“.

Beides geht sprachlich.

Aber der Unterschied besteht darin,

dass die katholische Tradition im Glauben eher etwas sieht,

was man hat, was feststeht, was also am Menschen ist,

während die evangelische Sicht eher ist,

dass Glauben als Vertrauen von Gott kommt

und sich auf Gott richtet.

Glauben ist kein Ding, das der Mensch oder die Kirche hat,

sondern eine Beziehung, die der Mensch lebt.

 

   Glauben als Vertrauen

 

Mir ist es bei der Beschäftigung mit diesem Text

und dem Stichwort „Glauben“ wieder neu wichtig geworden,

dass es für das Glauben nicht ausreicht,

etwas für wahr zu halten,

sondern dass Glauben sich im Vertrauen auf die Wahrheit verwirklicht.

Nur dann ist Glauben nicht reduzierbar auf Vertröstung,

sondern ist mitten im Leben,

weil uns Vertrauen jetzt hilft,

heute.

 

Es gibt viele Menschen,

die glauben, dass es einen Gott gibt,

aber sie vertrauen ihm nicht,

weil Glauben für sie keine Beziehung ist

und kein Geschehen.

 

Ich denke, dass wir dann die ganze Lebendigkeit Gottes verpassen,

wenn wir bei Glauben nur an Glaubenssätze denken.

Auch für euch Konfis wird es nicht darauf ankommen,

die Sätze des Glaubensbekenntnisses oder der 10 Gebote zu kennen,

sondern diesem Gott zu vertrauen,

der in Jesus Christus Mensch wurde

und sein Leben gab, damit wir mit ihm auferstehen können

und das ewige Leben haben.

 

Vielleicht haben Sie kürzlich im Evangelischen Gemeindeblatt

auch den Beitrag von Prof. Jürgen Moltmann gelesen,

in dem er einen Dialog von Glaube und Gnade beschreibt.

Ich schätze vieles von dem, was ich selbst

bei Jürgen Moltmann gelernt habe,

aber in diesem Fall hat er meines Erachtens dem Glauben

einen Bärendienst erwiesen.

Er hat den Fehler gemacht,

dass er Glaube und Gnade

als Gegenpole in ein Gespräch gebracht hat.

Der Glaube ist bei diesem Gespräch der Rechthaber,

der über Menschen urteilt.

Glaube ist dort reduziert auf „der Glaube“.

Er ist dort ein Glauben ohne Vertrauen.

Damit tat Moltmann, vermutlich unabsichtlich,

dem christlichen Glauben Unrecht.

Glauben und Gnade sind nämlich meines Erachtens nicht Gegensätze,

sondern gehören zusammen.

Für das Glauben als Vertrauen ist Gnade elementar.

Das Glauben-Können ist Gnade,

und das Vertrauen des Glaubens richtet sich auf die Gnade Gottes.

 

Ich wünsche uns,

dass wir als Gemeinde von diesem Sonntag mit seinem Predigttext mitnehmen,

dass Glauben Vertrauen ist.

Wir reduzieren Glauben nicht auf ein Für-Wahr-Halten,

das ist es auch.

Lebendiges Glauben ist aber vor allem eine feste Zuversicht,

eine Verwirklichung des Erhofften,

ein Vertrauen auf Gott,

auf Jesus,

der uns solches Glauben nahe gebracht hat.

Amen. 

Zum Seitenanfang