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Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis
Predigtreihe "Alles im Lot? - Familiengeschichten der Bibel"
1.Mose 25,19-28; 27,1-40; 33,1-16 Esau und Jakob
> Thema:  Esau und Jakob - Geschwister

Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 12.06.2005 in Hemmingen

Liebe Gemeinde,

was haben die Formel 1 und die Bibel

und das alltägliche Leben vieler von uns gemeinsam?

Sicher könnte man sogar verschiedenes benennen,

aber heute nenne ich dafür, was zu unserem Thema gehört:

Stichwort Bruderkampf.

 

Wenn man im Internet in die Suchmaschine „Bruderkampf“ eingibt,

dann erscheinen Ralf und Michael Schumacher an vorderster Stelle.

Gibt man in der Bibel-Suche „Bruderkampf“ ein,

dann gibt es auch gleich ein paar davon:

Mit Kain und Abel fängt es schon ganz am Anfang an

und im Neuen Testament ist das Thema auch bekannt

(siehe Schriftlesung Mk.10).

 

Die Bibel enthält Geschichten,

die mitten aus dem Leben kommen.

Menschen erleben das ganz normale Leben mit Gott.

Die Familiengeschichten,

die wir als Predigtreihe ausgewählt haben,

sind genau so.

Letztes Mal ging es um Kinder,

dieses Mal Geschwister,

nicht primär Geschwister haben, sondern Geschwister sein

nicht nur für leibliche Geschwister,

sondern auch im Team

und nicht zuletzt in der Gemeinde,

wo wir als Geschwister zusammengehören,

wenn wir unsere Berufung als Kinder Gottes ernst nehmen.

 

Genug Vorrede.

Lassen wir mal die beiden auf die Welt kommen,

um die es heute gehen soll:

Esau und Jakob.

Die Erzählung steht in 1. Mose 25, ab Vers 19

 

            Lesung 1. Mose 25,19–27

 

Liebe Gemeinde,

Esau und Jakob bilden ein Brüderpaar,

das von Anfang an aus dem Lot ist.

 

Hinei ma tov uma najim ... -

Es kann so schön sein,

wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen (Psalm).

Aber es kann umso gehässiger sein,

wenn Brüder aneinander geraten.

Und damit fängt die Geschichte bei Esau und Jakob an.

Schon bei den allerersten Brüdern in der Bibel war das so,

bei Kain und Abel,

dass sie verbunden waren und doch in Streit gerieten.

 

Was ist das Grundproblem

einer an sich so engen Beziehung unter Gleichen?

Brüder stehen ja,

zumal als Zwillinge,

für zwei Menschen, die theoretisch gleiche Voraussetzungen haben.

Sie müssten ja eigentlich Freunde sein.

 

Das Grundproblem offenbaren Esau und Jakob

in dem,

dass sie theoretisch zwar gleiche Voraussetzungen haben könnten,

es aber faktisch nicht so ist.

Das gibt es nicht nur unter leiblichen Brüdern,

das gibt es auch unter Schülern,

unter Kollegen oder auch in einer Partnerschaft.

Da ist der große Anspruch,

dass man zusammengehört unter Gleichen

und dann gibt es doch Unterschiede.

Gerade die Allergleichsten, die Geschwister,

verhandeln ständig die Unterschiede:

Der ist älter, der jünger.

Sie ist Mädchen, er ist Junge, usw.

 

Die steile Zumutung in der Geschichte von den Zwillingen

Esau und Jakob ist dann auch noch,

dass Gott diese Unterschiede mitmacht,

wenn nicht sogar setzt.

Gott sagt der Rebekka,

die die Kinder in der Schwangerschaft aneinander stoßen spürt:

„Beide werden ein Volk begründen,

und der eine wird dem andern überlegen sein,

und der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“

 

So realistisch ist die Bibel

in den Familiengeschichten des Alten Testaments.

Es gibt kein gleiches Leben für alle.

Nicht einmal für Zwillinge.

Die Menschen sind verschieden

und die Umstände erst recht.

So ergeben sich verschiedene Lebenswege.

der eine, Esau, wird ein Jäger und streunt herum,

der andere, Jakob, ein häuslicher Ackerbauer.

 

Ein gleiches Leben ist eine Utopie,

das gilt für politische Gesellschaftsentwürfe genauso

wie für Geschwister.

 

Ich staune immer wieder über die Weisheit der Bibel:

Sie redet durchaus von Gleichheit,

wie unser Grundgesetz von gleicher Würde des Menschen

und vor allem, dass Gott alle mit gleicher Liebe liebt.

Auch wir sollen einander mit gleicher Liebe lieben,

sagt Paulus (Phil.4).

Aber das genau bedeutet,

dass wir nicht alle gleich behandeln,

sondern jeden so, wie es ihm in seiner Unterschiedlichkeit entspricht.

 

Für Eltern bedeutet das,

dass nicht alle Kinder das Gleiche bekommen,

sondern dass jedes mit gleicher Liebe das Seine bekommt!

 

Wir verwirklichen die Berufung,

die Gott unserem Leben gegeben hat,

wenn wir dieses unser Leben leben

und eben nicht gleich wie andere sein wollen.

An Jakob und Esau können wir erleben,

dass die Ungleichheit gesetzt ist

und dass wir sie annehmen sollen.

 

Esau lebte auf seine Art,

Jakob auf die Seine.

So ging das nun ein ganzes Leben lang.

Die nächste Geschichte war,

dass Esau auf seine Art leichtfertig durch einen internen Vertrag mit seinem Bruder sein Erstgeburtsrecht verkaufte.

Aus einer Laune heraus,

weil er müde war und Lust hatte auf das duftende Essen bei seinem Bruder.

Da sagte er: „Lass mich das Linsengericht essen!“

Und Joseph forderte: „Dann verkauf du mir dafür deine Erstgeburt.“

Esau meinte: „Was soll’s!“ und aß.

Er verlor dabei die Rechte des Erstgeborenen,

die vor allem für die Generationenfolge Bedeutung hatte.

 

            Das Erben und das „auch“

 

Damit sind wir in dieser Geschichte bei einem Thema,

das bis heute Hauptgegenstand bei Geschwisterstreit ist:

Das Erben.

Nicht selten begegnet mir das

und sogar in den Familien,

die sonst so ordentliche und gute Leute sind.

Da hassen sich Geschwister und reden nicht mehr miteinander,

weil irgend ein Grundstück zum Zankapfel wurde.

 

Erben ist ein Verteilungskampf par excellence

und findet vor allem unter Geschwistern statt.

Und Verteilungskämpfe sind unter Gleichen typisch.

Jeder kennt das von den kleinen Kindern:

„Wenn die das hat, dann will ich das auch!“

Und bei den Großen ist es nicht anders:

„Wenn uns die Rente gekürzt wird,

dann denen bitte auch!“

Dabei ist die Wurzel des Übels nicht das Anliegen,

das damit vorgebracht wird,

sondern das kleine Wörtchen „auch“.

Es macht aus dem Wollen eine Gegnerschaft.

Die Schwester wird zur Feindin.

Der Mitmensch wird zum Konkurrenten.

Die Konkurrenz ist voll da.

 

Dieses „auch“ stellt Eltern kleiner Kinder

regelmäßig vor unlösbare Probleme

und vermutlich – da habe ich weniger Erfahrung –

die Eltern größerer Kinder ebenso,

oder die Gruppenleiter und andere.

Immer, wenn etwas nur einmal da ist,

gibt es kein „du auch“,

sei es eine Sache oder ein Amt.

 

            Auch-Geschichte

 

Die Auch-Geschichte bei Esau und Jakob

ist die berühmte Geschichte,

wie Jakob mit der List seiner Mutter

seinen blinden Vater Isaak betrügt.

Als dieser Esau segnen will,

gibt Jakob sich für Esau aus und empfängt den Segen.

Davon erzählt das 27. Kapitel im 1. Buch Mose.

 

„Segne mich auch!“,

sagt Esau, als Jakob ihm zuvorgekommen war.

Aber mit diesem gleichen Segen

kann er nicht auch gesegnet werden.

Jeder von beiden wird seinen Weg gehen,

auch von Gott her,

der für jeden seine Verheißung hat.

 

Der Fehler, den Jakob an dieser Stelle beging,

war der, dass er den Weg seiner Verheißung

mit List und Lüge erzwungen hat.

Er bezahlte einen hohen Preis dafür

und die Mutter Rebekka auch,

die die Rädelsführerin war.

Jakob musste fliehen,

Mutter und Sohn wurden getrennt

und in der biblischen Erzählung sehen sie sich nicht wieder.

 

Ob Gott das so wollte?

Gottes Segen ging mit Jakob, auch auf der Flucht.

Aber sein Verhalten wird nicht bewertet.

Gott will nicht den Streit zwischen Brüdern.

Ihre Geschwisterlichkeit haben sie selbst aus dem Lot gebracht.

Gott geht mit beiden ihren Weg weiter

und führt sie zu einem anderen Ziel.

 

            Die Versöhnung

 

Aber dazu müssen wir nun einen großen Sprung machen.

Bis ins 32. und 33. Kapitel im 1. Buch Mose.

Jakob baute sich in der Fremde einen Hausstand auf

und kam zu Reichtum,

Esau hatte den Reichtum des väterlichen Hofes

und so hatte jeder ein gutes Auskommen.

Allein die Beziehung zwischen beiden war nicht im Lot.

Sie sahen sich nicht und sie sprachen sich nicht.

Und in der Sprachlosigkeit geriet der andere

zum Übermächtigen.

 

Erzählt wird in der Bibel aus der Sicht Jakobs.

Der beschließt eines Tages,

es doch zu wagen und zurück in die Heimat zu gehen.

Die Sehnsucht lässt ihn nicht los.

Man lebt nicht gut unter Geschwistern,

wenn die Beziehung nicht im Lot ist.

Mit Sprachlosigkeit unter Geschwistern lebt es sich nicht gut,

auch wenn jeder sein Auskommen hat.

 

Und Jakob beschließt,

dass ihm Versöhnung wichtiger ist als viele Dinge.

Er lässt hunderte von Weidetieren als Geschenk an Esau

vornedrausgehen, Esau entgegen.

Sie bilden das Versöhnungsangebot

und lassen Jakob hoffen, dass Esau ihn als Bruder annimmt.

 

Die Bibel erzählt es dramatisch:

Jakob spürt man die Angst ab.

Er hat noch ein nächtliches Erlebnis mit Gott.

Am nächsten Tag sieht er Esau von fern

mit einer Vielhundertschaft starker Männer umgeben.

Was passiert?

Was hat Gott vorbereitet?

Wozu bringen die beiden ihr Geschwister-Sein?

 

Die Bibel erzählt:

„Esau lief Jakob entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten.“ (Gen.33,4)

Und dann staunen sie gegenseitig über das,

was geworden ist.

 

Und beide haben in der langen Zeit gelernt,

dass der Streit ums Erbe sich nicht gelohnt hat.

Esau sagt:

„Jakob, was sollen alle die Herden,

die mir zuerst begegnet sind?“

Jakob antwortet:

„Dass ich Gnade finde vor dir, meinem Herrn!“

Esau wischt das weg:

„Ach was! Ich habe genug, mein Bruder.

Behalte, was du hast.“

 

Und dann reden sie vom Segen Gottes.

Jeder hat in seinem Leben vieles erhalten

und vieles erlebt.

Und jeder hat es anders gehabt.

Sie sind ungleich gewesen von Anfang an

und sie sind ungleiche Wege gegangen,

aber sie haben dabei beide Gottes Wege erlebt

und sind Brüder geblieben.

 

Sie haben zum Schluss erlebt:

Wenn wir das Gleiche wollen,

dann kann jeder den andern sein lassen.

Sie haben dieses bei der Versöhnung so erfahren

und so kam ihre Beziehung ins Lot.

 

Etwas überraschend nach dieser Versöhnung

ist es am Schluss so,

dass Jakob Wert legt darauf,

aber dass sie nicht gleiche Wege gehen.

Für so unterschiedliche Brüder

könnte das gefährlich sein

und den alten Streit wieder aufbringen.

Daher gingen sie an verschiedene Orte,

aber in versöhnter Geschwisterlichkeit.

 

Esau und Jakob.

Diese beiden und ihre Geschichte

machen gespannt darauf,

wie es mit uns geht,

wenn wir unter solchen sind,

die an sich Gleiche sind

und doch jeder ein anderer Mensch.

 

Werden wir uns ausrichten

auf eine gute Beziehung

und gleichzeitig akzeptieren können,

dass es Unterschiede zwischen uns gibt?

Wenn wir es Gott lassen,

dass er unterschiedliche Wege mit uns geht

und seine Liebe uns doch vereint,

dann werden wir auf unseren verschiedenen Wegen

persönlichen Segen erfahren.

Amen. 

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