Predigt von Pfarrer z.A. Gunther Seibold, Urbach
gehalten am 20.05.2002 in Winterbach
Liebe Gemeinde in
Winterbach!
Der liturgische Kalender
unserer Kirche sieht für heute zur Predigt nicht einen Predigttext, sondern eine
Auswahl von drei Textstückchen aus dem zweiten Teil der Pfingstgeschichte vor.
Genau sind es im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas die Verse
22.23; 32.33; und 36 bis 39. Sie merken, das ist Textstückelei.
Warum trage ich Ihnen das
so genau vor? Nun, weil es Gelegenheit gibt, heute an Pfingsten eine einleitende
Bemerkung zu einer Grundfunktion des Heiligen Geistes zu machen. In der
reformatorischen Auseinandersetzung Martin Luthers war vom Heiligen Geist
nämlich am meisten bei Streitigkeiten um die Heilige Schrift die Rede.
Luther betonte, dass man,
um das biblische Wort zu verstehen nicht die Wissenschaft oder die kirchliche
Autorität, sondern den Heiligen Geist brauche Denn es gehe ja bei der Bibel
nicht um die Grammatik oder um Stilfragen, sondern um ein tieferes Verstehen von
Jesus Christus. In diesem Zusammenhang hat der Heilige Geist die Funktion, dass
durch ihn die Bibel mir etwas sagt. Der Heilige Geist macht mir das Wort Gottes
„bedeutend“, (dass ich es deuten kann und es mir etwas bedeutet).
Diese Funktion wird dort am
wichtigsten, wo es gilt, aus verschieden klingenden biblischen Texten die klare
Linie herauszukristallisieren. Der Geist hilft dabei, die Schrift klar zu
machen. Er konzentriert uns, so die Argumentation Luthers, auf die
entscheidenden Stellen. Das sind die,
die uns Jesus Christus entscheidend näher bringen. Und so hilft der
Heilige Geist umgekehrt, solche Bibelteile einfach zunächst zurückzustellen, die
uns zu schwierig oder irritierend sind.
Luthers Kriterium war: Das
Wichtigste in der Schrift ist, -
Zitat - „was Christum treibet“. Diese Unterscheidungsfähigkeit wiederum beruht
nicht auf historischer Genauigkeit oder wissenschaftlicher Logik, sondern dazu
bedarf es geistlicher Unterscheidungsgabe. (Die ist, nebenbei bemerkt, keine
Frage des theologischen Studiums, sondern eine pfingstliche Gabe Gottes an jeden
Christen!)
Der Heilige Geist kann uns
also die Schrift klar machen, indem er uns so leitet, dass Jesus Christus
uns in der Bibel begegnet.
Vielleicht können wir daher
sagen, dass die Väter und Mütter unseres liturgischen Kalenders im Heiligen Geist gehandelt haben, als
sie die Verse für heute auswählten.
Sie haben nämlich die Verse
ausgewählt, die den Glauben an Jesus klar machen. Die Exkurse, Seitenaspekte und
Nebenthemen sind herausgelassen, damit das Zentrale klarer wird.
Ich lese nun also diese 8 Verse. Sie beginnen dort, wo vorhin die Schriftlesung geendet hat, in der Rede des Petrus in Jerusalem:
Textlesung: Apg. 2,22.23.32.33.36-39
Getroffen: Was sollen wir
tun?
Liebe Gemeinde, am meisten
beeindruckt hat mich in diesem Text die Reaktion der Zuhörer damals: „Als sie
aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz“! Man kann auch übersetzen: „Als sie
das hörten, wurden sie im Herzen getroffen“, ja wörtlich sogar: „durchbohrt.“
Ich denke dabei an ein
Gefühl, wie eine plötzliche innere Klarheit. Ein Gespür wie dann, wenn ich
plötzlich bloßgestellt werde, wenn ich nichts mehr zu meiner Verteidigung sagen
kann.
Das kann sehr schmerzlich
sein. Das kann aber auch wohltuend befreiend sein. Endlich ist die Wahrheit
heraus! Endlich ist der Zwang zum Vorspiegeln vorbei.
Die Menschen hier fragen
bang. Ratlosigkeit spricht aus ihren Worten: „Was sollen wir tun?“ „Liebe Leute,
was sollen wir tun?“
Herz erreicht
Noch an etwas anderes wurde
ich erinnert bei diesem Satz, dass
es ihnen ins Herz drang, was sie da von der Wahrheit von Jesus erfuhren.
Ich dachte an ein
aufgemaltes Herz an einer Wand, und da ist ein Pfeil dazugemalt, der in dem
Herzen steckt. Wahrscheinlich kennen Sie auch solche Kritzeleien. Und ich
erinnere mich daran, dass ich solches selbst schon gemalt habe, als ich auf der
Schulbank jemand aus der Klasse ärgern wollte.
Dieses Herz mit dem Pfeil
durch ist ein Zeichen für Verliebtheit. Ein merkwürdiges Zeichen!
Es kommt irgendwie davon,
dass nach der römischen Mythologie der Gott der Liebe, Amor, Pfeile wirft. Wer
verliebt ist, so heißt es, wurde vom Pfeil Amors getroffen.
Was mich irritiert an
diesem Zeichen vom zerstochenen Liebesherzen ist, dass es eigentlich um etwas
Wunderschönes geht, um die Liebe, dass aber der Pfeil dem Herzen ja eine
Verletzung zufügt.
Vielleicht hat da die
Mythologie erkannt: Wo die Liebe trifft,
da sind überschäumendes Glück und Verletzung nicht weit von einander.
Das mag daran liegen, dass
Liebe nicht außen bleiben darf, sondern eindringen muss in das Innere eines
Herzens. Echte Bewegung entsteht dort, wo die Begegnung nicht äußerlich bleibt,
sondern eindringt. Und das Eindringen stellt durchaus eine Verletzung dar. Da
geht was unter die schön polierte Oberfläche.
So erlebe ich diese
Menschen in der Pfingstgeschichte auch. Die Botschaft, die Petrus da verkündigt,
die dringt plötzlich bei ihnen ein. Die schön polierte Oberfläche, zu der auch das Bewusstsein gehörte, es
auch vor Gott schon recht zu machen, diese Oberfläche ist durchstoßen und die
Botschaft von Jesus trifft in ihr Herz hinein.
Völlig klar, dass es dabei
nicht um die Zweikammer-Blutpumpe Herz geht, nicht um unser fleischliches Organ,
sondern um einen Begriff für unser Innerstes. Wenn wir so Herz sagen, meinen wir
unser innerstes emotionales Ich, unsere persönliche Kraft. Wir denken an das
Zentrum unserer unsichtbaren Kräfte, unseres Wollens, unseres Mutes, unseres
Vertrauens, unserer Hoffnung und unserer Liebe.
Die Pfingstbotschaft will
dort hin. Sie will herzlich sein und herzhaft wirken. Sie ist nicht ein Stoff
für den Kopf, sondern eine Herzensangelegenheit. Dann und so ist der Heilige
Geist im Spiel.
Christusbotschaft und
Geistgabe
In der Rede legt Petrus ein
kräftiges Fundament mit Stoff für den Kopf. Da wird die Geschichte von Jesus
erzählt, der große Taten getan hat gerade unter denen, die da zuhören. Sie waren
auch dabei, als er gekreuzigt wurde und verstarb. Und diese Menschen, die da
zuhören, hatten auch schon gehört, dass manche davon überzeugt seien, dass Jesus
auferstanden wäre.
Neu war, dass diese Jünger
Jesu, die nach Karfreitag ein verschrecktes Häuflein gewesen waren, dass die
jetzt öffentlich hinstanden, von der Erhöhung Christi sprachen und von der Gabe
des Heiligen Geistes und dass der Gekreuzigte der Herr der Welt sei.
Man kann das so sehen, dass
die Auferstehung Jesu mit Pfingsten erst in der Welt zum
Durchbruch kam. Pfingsten war das Datum, das aus einer verzagten Jüngergruppe
eine verkündigende Mannschaft machte, die fortan nach und nach aus Liebe zu den
Menschen die Botschaft von Jesus überall bekannt machte.
Das war ein Wunder, wie man
es auch großen Motivationskünstlern
zutrauen würde. Die Wirkung, die dahinter stand, musste mehr sein als
Motivationskunst. Die Christen erkannten in diesem Wunder eine heilige Gabe
Gottes: Den Heiligen Geist.
Mit den hier zitierten
Worten Petrus gesagt: „Ihr seht hier - und hört es, wie Jesus den Heiligen Geist
vom Vater ausgegossen hat.“
Das
Herz braucht Los-Lassen
An diesem Pfingsten ging
das den Leuten ins Herz. Dieser Heilige Geist war am Wirken. Der Pfeil saß
gewissermaßen. Und er forderte die Frage heraus: “Was sollen wir tun?“
Diese Frage kommt zwar aus
Betroffenheit, aber sie löst sich nicht ganz von der Oberfläche.
Typischerweise ist für den Menschengeist das „Tun-Wollen“ ist die klassische
Option, mit der er das getroffene Herz wieder verstecken will. Mit einem „Tun“.
Die Leute könnten einen
Vertrag unterschreiben wollen. Oder sie könnten sich an eine bestimmte Regel
halten, dann wäre möglicherweise das Problem behoben. Vielleicht könnten Sie ja
durch ein Denkmal für Jesus den Fehler seiner Kreuzigung wieder in Ordnung
bringen wollen. Oder indem Sie anderen helfen. Oder sie könnten durch irgendeine
andere Gegenleistung wieder Ruhe bekommen.
Die Antwort von Petrus
spricht allerdings genau vom Gegenteil: Genau um Leistung geht es nicht!
Nicht um etwas Machen, auch keine Wiedergutmachung. Die Leute sollen vielmehr
„Lassen“, ablassen von ihren alten Wegen. Sie sollen, wie es im griechischen
Wort heißt, „umkehren“. Beim Umkehren oder Buße tun geht es ums Loslassen, um
ein Leerwerden, ein Öffnen der Hände und des Herzens.
Beispiel dafür ist die
Frau, die Gott suchte und jahrelang nur machte. Sie schloss sich der Gemeinde an
und machte mit und machte viel mit. Weil sie innerlich unerfüllt blieb, machte
sie sich auf zu Gottesdiensten hier und dort und zu berühmten Leuten. Sie hörte
die Kernbotschaft von Jesus Mal um Mal und konnte sie auch wiedergeben. Sie
zwang sich, die Bibel am Stück durchzulesen und sie kam in einen richtigen
Glaubensstress. Als sie dann wieder einmal in totaler Enttäuschung zuhause im
Sessel niedersank und einfach nicht mehr konnte, als die Kraft ihres Geistes und
ihrer Hände am Ende war, da seufzte sie endlich mal aus tiefem Herzen: Gott, ich
kann nicht mehr! Und da plötzlich wurde ihr ganz anders wohl. Als sie nicht mehr
denken konnte, spürte sie plötzlich: Gott denkt an mich! Ich muss mich nicht
zwingen, an ihn zu denken, er denkt an mich!
Liebe Gemeinde, es gibt ein
christliches Zeichen für diese Zusammenhänge: die Taufe. Keiner tauft sich
selbst. Keiner kann sich mit seiner Taufe etwas vor Gott verdienen und keiner
kann sich die Taufe verdienen. Die Taufe ist vielmehr ein Geschenk. „Lasst euch
taufen!“
Den Leuten, die da fragen,
was sie tun sollen, sagt Petrus hier: Lasst euch taufen! Lasst euch
beschenken!
Auch Pfingsten ist ein Fest
des Beschenkt-Werdens! Im theologischen Sinne noch mehr als Weihnachten und
Ostern. Obwohl wir an Pfingsten keine Geschenke füreinander haben. Vielleicht
legen wir uns dafür am besten die Deutung zurecht, dass wir einander an
Pfingsten nichts schenken, weil das das Fest des Geschenkes Gottes an uns
ist.
Pfingsten ist nicht, wie
Christus in die Welt kam, nicht, wie Christus zu den Toten kam und wieder ins
Leben, sondern wie er zu mir kommt. Ins Herz! Pfingsten hat das Gewicht nicht
bei einem historischen Geschehen mit der Welt, damals im Stall oder so. Vielmehr
hat Pfingsten das Gewicht auf Gottes bleibender Gegenwart bei den Seinen, die
als Getaufte seine Kirche bilden.
Wie heißt es hier so schön:
„Euch und euren Kindern gilt die Verheißung, dass ihr die Gabe des Heiligen
Geistes bekommt. Euch und allen, die fern sind. Viele werden das sein, die Gott
zusammenruft!“
Mir hat es für das
Verständnis von Pfingsten und vom Heiligen Geist eingeleuchtet, dass hier so
sprechend vom Herzen die Rede war.
Auch dem philosophischen
Menschengeist hat es eingeleuchtet, dass im Herzen ein Mehr zur Sprache kommt,
das über den Verstand und die Rationalität hinausgeht. Ein Mehr außerdem, auf
das es im Letzten ankommt.
„Man sieht nur mit dem
Herzen gut“, meint Antoine de Saint-Exupery, und fährt fort: „Das Wesentliche
ist für die Augen unsichtbar.“ Genau so wird es uns hier von den Leuten in
Jerusalem berichtet. Mit ihren Augen hatten sie Jesus gesehen und erlebt, und
doch war ihnen das Wesentliche verborgen geblieben bis zu diesem Moment, als das
Herz getroffen war.
Blaise Pascal deutete das
auf den Glauben: „Es ist aber das Herz, das Gott spürt, und nicht die Vernunft.
Das [...] ist der Glaube: Gott im Herzen spüren und nicht in der Vernunft.“
Pfingstlich gesehen und
gesprochen heißt das: Der Glaube ist, das Herz für den Heiligen Geist offen zu
haben, im Heiligen Geist die Gegenwart Gottes spüren.
Dort ist Geistesgegenwart,
wo ich unabhängig von Glaubenssätzen des Verstandes und auch gegen die
Einwände des Zweifels im Herzen eine Nähe Gottes und einen Drang zu Gott
spüre.
In Tagen wie diesen, wenn
Terrorwarnungen durch die Welt gehen, wird diese Unterscheidung von Verstand und
Herz ganz praktisch: Der Verstand muss es ernst nehmen, die öffentliche
Verantwortung gebietet, bestmöglichen Schutz zu organisieren. Aber der Lebensmut
des Herzens soll sich nicht unterkriegen lassen. Die innere Kraft kann Hoffnung
leben.
Die Jünger, die sich
wochenlang gefürchtet hatten, standen an Pfingsten plötzlich auf, konnten den
Leuten in die Augen sehen und eine gewaltige Hoffnung ausstrahlen.
Ganz beiläufig
können wir im Nachhinein zu diesen Gedanken auch, wie ich finde, eine gute
Vorstellung von diesem so schwer definierbaren „Heiligen Geist“
finden.
Die
Vorstellung von der herzlichen Dimension des Geistes erlaubt es, dass wir uns
von Übersteigerungen abgrenzen:
Zum einen
ist der Heilige Geist nicht einfach nur ein nüchterner Gedanke. Er drängt
vielmehr dazu, dass wir Erfahrungen der Gegenwart Gottes machen. Wir sollten die
Geisterfahrung suchen.
Zum
andern ist er nicht auf äußerliche Zeichen festgelegt, wie in manchen
Gruppen, die den Geist für sich reklamieren. Wir sollten die Geisterfahrung
nicht übertreiben.
Zusammenfassend sehe ich
wieder das Bild mit dem Herzen und dem Pfeil vor mir. Es ist sonst eine
Kritzelei, aber ich nehme es heute als ein Bild für Pfingsten: Gottes Liebe
erreicht die Herzen, dringt in sie ein und bewegt sie zur Liebe.
Der Heilige Geist ist
innere Gegenwart Gottes. Er wird spürbar in der ins Herz gehenden Klarheit der
Botschaft von Jesus, in der Erfahrung der herzlichen Gegenwart Gottes, in
herzerfrischender Gotteskraft. Sie äußert sich in dem, was wir aus vollem Herzen
vom Glauben leben und lieben, singen und sagen.
Genau diese Erfahrung der
ersten Christen erreichte uns in diesen Versen. Ja, wes das Herz voll ist, des
geht der Mund über und das öffnet andere Herzen.
Eine Pfingsterfahrung, die
Mut macht.
Amen.