Predigt von Pfarrer Gunther Seibold, Hemmingen
gehalten am 09.04.2004 in Hemmingen
Es knirscht und kracht,
es ächzt, schnaubt,
aber nichts geht mehr,
liebe Gemeinde,
der Karren ist festgefahren.
Die Beziehung ist am Tiefpunkt,
erst haben sie es hinter dem Rücken
des andern mal ein bisschen probiert,
da war es mit der Offenheit und Ehrlichkeit vorbei.
Sie gingen immer öfter getrennte Wege,
und wenn sie beieinander waren,
dann motzten sie erst einander an,
dann stritten sie und schrien,
und schließlich blickten sie sich gar nicht mehr an.
Festgefahren, aus, vorbei.
Ende einer Beziehung.
Egal, wer da nun am Ende in der Beziehung ist,
solch ein Verhältnis beschreibt die Bibel auch
und sie beschreibt es von Gott und Welt.
Was eigentlich natürlicherweise eine Einheit ist,
und zusammengehört,
Gott und Geschöpf,
hat sich auseinanderentwickelt.
Ein fundamentales Zerwürfnis trennt da.
Die Menschen leben ohne auf Gott zu achten
und gehen eigene Wege.
Dabei hat Gott noch alles versucht:
Er schickte Propheten und Prediger,
aber die wurden verlacht und verspottet,
etliche getötet und hinausgeworfen.
Wie geht es weiter?
Wie geht es weiter, wenn sich der Karren einmal festgefahren hat?
Wenn Sie sich ansehen,
was den Menschen in der Weltpolitik in einer solchen Lage einfällt,
dann finden Sie drei Wege,
die offenbar typisch sind für menschliche Lösungsansätze.
Am Beispiel der Irakkrise konnte man sie sehr schön ablesen:
Der eine heißt: Verhandeln, verhandeln, verhandeln.
Der zweite heißt: Dreinschlagen, den andern auslöschen.
Der dritte Ansatz heißt: Nichtstun.
Heute darf ich Ihnen einen anderen Weg vorstellen.
Heute habe ich eine schöne Aufgabe als Prediger.
Heute darf ich Ihnen ein Wort von Gott präsentieren,
das ganz wohlklingend „Versöhnung“ heißt!
Das „Wort von der Versöhnung“
darf ich als Botschafter Gottes heute Ihnen hier weitersagen.
Stünden Sie an meiner Stelle,
dann dürften Sie es weitersagen.
Denn es ist nicht ein Wort von mir aus,
sondern ein biblisches Wort,
als Wort Gottes durch den Brief des Paulus an die Korinther,
zweiter Korinther 5,19-21:
19 Denn Gott war in Christus und versöhnte
die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter
uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
20 So sind wir nun Botschafter an Christi
Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Laßt
euch versöhnen mit Gott!
21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
und dazu lese ich noch zwei Verse vorher:
17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er
eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist
geworden.
18 Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.
Das, was uns da verkündigt wird,
ist eine Möglichkeit, die uns Menschen viel zu wenig gelingt.
Versöhnung durch die Herstellung einer völlig neuen Situation.
Wir Menschen denken in kleinen Schritten
und suchen immer kalkulierbare Wege:
Verhandeln besteht im Aufrechnen:
gibst du mir, geb ich dir.
Gewalt besteht in der Vorausberechnung:
Ich bin stärker, also schlage ich los.
Nur der dritte Weg, das Nichtstun, berechnet nicht,
erreicht aber auch nichts.
Gott gelingt die Überraschung.
Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen,
dass Gott Mensch würde,
dass Gott sozusagen gar einen Tausch herbeiführen könnte
und in der Gestalt seines Sohnes Jesus Christus
nicht nur Mensch wird,
sondern die
Problematik des Menschseins auch noch auf sich nimmt!
Die Überraschung ist so groß,
dass ich als Mensch dem nicht folgen kann.
Wie kann Gott Mensch werden?
Wie kann der sündlose Gottessohn zur Sünde gemacht werden?
Wie geht das?
Aber wenn das wahr ist,
dann ist die Überraschung gelungen!
Auf die Bereitschaft der Welt
zur Versöhnung mit ihm hätte Gott lange warten können.
Auf meine Bereitschaft zur Versöhnung mit Gott
hätte Gott vermutlich auch lange warten können.
Statt dessen hat er selbst die Initiative ergriffen
und sich selbst auf meine Seite gestellt
und für mich an meiner Stelle die Trennung aufgehoben.
Das ist das Überraschendste an dieser Stelle,
dass wir von Gott nicht aufgefordert werden
unseren Teil beizutragen,
sondern dass er die Versöhnung bereits vollzogen hat.
Als Martin Luther formulierte,
was er da hörte,
nannte er das Handeln Gottes im Ergebnis
einen „fröhlichen Wechsel“ und „seligen Tausch“.
So könnte auch unter uns der Karren wieder flott werden,
wenn uns das plötzlich wie Schuppen von Augen fiele,
dass wir uns ja gar nicht im fernen und feindlichen Gegenüber,
sondern miteinander im selben Boot befinden,
Seite an Seite vereint.
So stellt sich Gott auf unsere Seite.
In Jesus finden wir ihn plötzlich auf unserer Seite,
als unseren Freund,
unseren Beistand,
unseren Retter und Heiland.
Die alte Front ist weg,
siehe Neues ist geworden!
Durch Jesus ist eine neue Schöpfung möglich geworden.
Wir sind in einem Verhältnis zu unserem Schöpfer
nicht mehr von oben herab,
sondern in inniger väterlicher Umarmung.
Die menschlichen Versuche, zueinander zu kommen,
enden oft in einem Waffenstillstand.
Oder da wird ein Friedensschluss verkündet.
Oder man macht einen gegenseitigen Vertrag.
Das aber scheint mir alles viel schwächer zu sein als Versöhnung.
Versöhnung ist tiefstes in eins kommen.
Daher singen wir heute das Gesangbuchlied gerade nicht,
in dem es heißt: „so ist Versöhnung“ und dabei
menschliche Vergleiche gesucht werden für das, was Gott tut.
Wenn ich doch ein Bild
für diese Versöhnung von Gott suchen müsste,
dann denke ich an das der Umarmung.
Dieses Bild finden wir auch in der väterlichen Umarmung
des so genannten „verlorenen Sohnes“ im Gleichnis Jesu.
Die ausgebreiteten Arme Jesu am Kreuz
möchte ich gerne als Offenheit sehen,
die Welt in den Arm zu nehmen.
Dazu ist Jesus bis ans Kreuz gegangen,
damit die Versöhnung bis in die letzte Tiefe dringt
und keiner in seinem Menschsein sagen kann,
dass sie ihn nicht erreicht hätte.
Ich wünsche uns in der Welt
auch viel öfter solche Kreativität,
wie sie der Kreator, der Schöpfer,
im Versöhnungsgeschehen am Kreuz zeigt.
Viel mehr Überraschungen,
Gewitztheit und doch auch letzte Konsequenz,
das täte unseren festgefahrenen Beziehungen häufig so gut.
Das gilt für die öffentlichen Beziehungen
zwischen den Völkern
genauso wie für die Beziehungskiste daheim.
Versöhnung kommt im Griechischen von kat-allasso,
das die Grundbedeutung hat: anders machen.
Gott macht es anders.
Und was sich gegenseitig anders geworden ist,
das führt er zurück in die Einheit.
Im Lateinischen spricht man an dieser Stelle daher von
reconsiliare, was „wiedervereinigen“ heißt.
Gott und Welt,
die wir häufig trennen,
einander feind sein lassen oder,
was vielleicht noch tragischer ist,
die wir einander oft egal sein lassen,
die kommen in Jesus untrennbar vereint zusammen –
ob wir’s glauben oder nicht.
In Jesus hat Gott die Welt mit sich versöhnt.
Das ist doch eine gute Nachricht an so einem Tag,
der der Todestag des bedeutendsten Menschen ist,
der je lebte.
Das ist so eine gute Nachricht,
weil es auch der Gedenktag der Vollendung der Sendung
des einzigen Sohnes Gottes ist, der je lebte.
Eine sehr gute Nachricht.
Allen unseren Sackgassen,
allen verfahrenen Karrenbesatzungen
kann man das nur zurufen und weitersagen:
Werdet wieder überraschend!
Lasst euch auf Neues ein.
Und was Gott betrifft:
Lasst euch versöhnen mit Gott!
Amen.